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Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs

Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs

Titel: Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helge Timmerberg
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ausgibt, wußte ich noch, aber der Moment rückte heran, in dem mir dieses Wissen nichts mehr nutzte, weil ich kaum mehr Geld in der Tasche hatte. Und im Hotelsafe auch nur noch das, was ich für den nächsten Tag und für das Taxi zum Flughafen brauchte. Es war mein letzter Abend in Havanna, meine letzte Nacht auf Kuba, mein letzter Tanz im «1830», der Open-air-Diskothek am Ende des Malecón, denn Tatjana hatte mir gerade in die Hosentasche gegriffen und die letzten Münzen rausgenommen, um sich dafür einen Mojito zu besorgen. Das war strenggenommen Diebstahl, nein, eigentlich schon ein räuberischer Überfall, immerhin machte sie es nicht heimlich und auch nicht mit Gewalt. Ich nahm ihr das nicht übel. Im Gegenteil. Ich liebte sie für ihre Offenheit. Tatjana war nicht verlogen, sie war nur wild, und in der Wildnis gilt das Recht des Stärkeren. Warum sollte ich Tatjana dafür verurteilen, daß ich schwächer war als sie? Vielleicht war es auch nur Koketterie. Vielleicht war ich gleich stark oder sogar überlegen, denn ich wehrte mich nicht, als sie mir mein letztes Geld aus der Tasche fischte, ich unternahm rein gar nichts dagegen. Ich ließ es zu, ich akzeptierte lachend die drei großen Regularien des Lebens: Sex, Macht und Geld.
    Und was war mit Glaube, Liebe, Hoffnung? Nun ja, dafür war ich zu lange auf Kuba. Und wenn ich nach zwei Jahren auf dieser Insel immer noch geglaubt hätte, daß eine Kubanerin wie Tatjana bei mir bleiben würde, obwohl ich pleite bin, hätte ich nichts von diesem Land und diesem System verstanden. Wie oft stritt ich mich mit ihnen über den kubanischen Trinkspruch. Sie sagten: «Dinero y amor.» Und ich sagte: «No no, amor y dinero.»
    Im Prinzip war es ganz einfach. Jeder wünscht sich das am meisten, was er nicht hat. Kubaner haben so viel Sex, daß er in ihrem Denken und Trachten schon keine Rolle mehr spielt. Welche Rolle spielt Wasser für uns? Oder Luft? Was ständig da ist, wird selbstverständlich und verliert jeden emotionalen Wert. Warum sie soviel Sex haben? Ich sehe drei Gründe. Erstens: Kuba ist eine Insel. Und die Menschheit ist älter als die christliche Seefahrt. Einige tausend Jahre trennten Unmengen von Wasser die Inselbewohner vom Rest der Erde, und da entwickelte sich in der Pflanzen-, Tier- und Menschenwelt hier womöglich einiges anders als auf den Kontinenten. Zweitens: Kuba ist seit nunmehr fünfzig Jahren kommunistisch, also von Mangelwirtschaft geprägt. Das beinhaltet auch mangelndes Entertainment. Um der großen Langeweile zu entgehen, stürzen sich die Kubaner auf das andere Geschlecht, wann und wo es geht. Und es geht halt auf der Insel immer und überall. Denn es ist immer und überall feuchtwarm genug dafür. Und schön dunkel ist es auch. Dauernd fällt irgendwo der Strom aus. Drittens: Kubaner trinken Rum, also die erotisierendste Spirituose im Alkoholregal. Whiskey macht zynisch, Wodka macht rührselig, Gin macht unempfindlich gegen Moskitostiche, nur Rum macht geil. Das in etwa sind die Gründe für das satte Sexualleben auf der Insel.
    Und das sind die Auswirkungen: Ein Orgasmus pro Tag ist für Kubanerinnen eine Art Menschenrecht. Frauen, die drei Tage lang nicht von ihrem Mann befriedigt werden, dürfen fremdgehen, ohne sich entschuldigen zu müssen. Bei sich selbst und bei ihm. Frauen wie Tatjana wenden dieses Recht gern auch schon nach einem Tag ohne Orgasmus an, und das alles ist noch kein Betrug. Der beginnt erst mit dem Tatbestand der Nymphomanie. Oder mit der Vielweiberei, denn die kubanischen Männer sind kein Stück treuer als ihre Frauen. Als Betrug gilt also nur, wenn du in deiner Beziehung sexuell voll und täglich auf deine Kosten kommst und trotzdem dauernd fremdgehst. Aber selbst bei einer so megaliberalen Definition des Betrugs muß man sagen, daß auf Kuba jeder jeden immerzu betrügt, allerdings spricht man nicht darüber. Einen Betrug zuzugeben ist das einzige Tabu. Kein Tabu dagegen ist es, einen Touristen an dieser gesellschaftlichen Permanentorgie teilhaben zu lassen. Das ist für Kubaner echt kein Ding. Womit ich beim Thema Sextourismus bin. Von Sextourismus spricht man, wenn Sex das Ziel und der Grund der Reise ist. Aber wenn ich an die Höhepunkte meiner zwei Jahre auf Kuba denke, fällt mir nicht ein außergewöhnlicher Geschlechtsverkehr ein. Den besten Sex meines Lebens hatte ich in Hamburg, Wien und Berlin, nicht in Havanna. Damit wir uns nicht mißverstehen: Auch den schlechtesten Sex meines Lebens hatte ich

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