Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs
Mädchen vor mir und drückte mir ein Stück Papier in die Hand. Von der «Chica», die gerade verschwand. Ein kleines Stück Papier, auf dem ich ihre Adresse und ihren Namen fand: Marlene.
Der Chefredakteur war begeistert. Ich hatte ihn ein paar Stunden später am Telefon. «Mein Junge», sagte er, «Lech Walesa ist einsame Klasse.» Mir gefiel die Meldung auch. Ich hatte sie mehr oder weniger frei erfunden, weil es kaum Archivmaterial dazu gab, sondern lediglich den Wunsch, ein Familienporträt des polnischen Präsidenten zu erstellen. Das Magazin berichtete: «Lech Walesa hat drei merkwürdige Söhne und eine merkwürdige Art, sie zu erziehen. Bogdan, 25, Grenzschützer, fuhr betrunken einen Kleinbus zu Schrott. Vater Walesa schenkte ihm daraufhin einen Toyota und eine Villa in Danzig. Slawomir, 23, fuhr betrunken eine Lehrerin auf dem Gehsteig um. Vater Walesa schenkte ihm einen Daihatsu Charade und eine Villa. Przemyslaw, genannt Przemek, fuhr mit 1,52 Promille auf seinem Fahrrad einen Polizisten an. Strafe: umgerechnet 80 Mark. Vater Walesa schenkte ihm einen Golf Turbo. Mit dem fuhr Przemek einen Danziger Blumenhändler zuschanden. Und bekam zum Golf die Villa dazu.»
Cuba Libre
(Havanna)
K ubanerinnen tanzen gern. Mit Salsa fangen sie im Alter von vier Jahren an, spätestens in der Pubertät beherrschen sie alle mittel- und südamerikanischen Stile, und wenn sie aus der Pubertät wieder raus sind, vereinigt sich ihre perfekte Technik mit dem Drive ihrer Hormone. Für die Augen von Nicht-Latinos sieht das immer ein bißchen pornographisch aus. Aber selten obszön. Und nie peinlich. Wie alle Naturereignisse sind Kubanerinnen im Salsa-Rausch einfach nur schön. Beängstigend schön, wenn sie so explodieren wie Marlene. Von ihr lernte ich: Wer zuerst da ist, bekommt die besten Tische an der Tanzfläche. Darauf gehören, je nach Größe der Tischgesellschaft, ein oder zwei Flaschen Rum sowie pro Person eine Flasche Cola. Denn an den besten Tischen wartet man auch am längsten auf den Beginn des Konzerts. Das kann bis zu einer Stunde dauern, und diese Zeit nutzte Marlene bei ihrer Feier-Alchemie für das Aufkochen mit Alkohol und Kokain. Was dazu führte, daß sie alsbald am Tisch wie ein Preßlufthammer zu vibrieren begann, und wenn dann endlich die Band auf die Bühne sprang, um die ersten Baßriffs wie wilde Tiere von der Leine zu lassen, sprang Marlene vom Stuhl. Vollgas von Anfang an.
Nicht alle Kubanerinnen trieben den Turbo-Salsa so weit wie Marlene, die Profitänzerin aus dem «Cabaret Tropicana», aber selbst die, die nur halbherzig dabei waren oder nur mit ein paar Schritten und Hüftschwingern tanzten, zitierten den Salsa auf den Punkt. Salsa können sie. Hip-Hop nicht. R&B auch nicht. Rock ’n’ Roll, Pop und Techno ebenfalls nicht. Sobald ein DJ internationale Hits auflegt, verwandeln sich diese geborenen Tänzerinnen in mehr oder weniger bekloppte Bräute, die ihre Arme hochwerfen und spitze Schreie ausstoßen. Ich glaube, sie tun das nicht, weil sie diese Musik lieben. Sondern weil ihnen diese Musik so viel verspricht. Was nicht dasselbe ist. Freiheit, Geld, Ferraris und eine Tonne teurer Lippenstift sind nicht dasselbe wie, zum Beispiel, Sex oder eine Romanze in der Zuckerrohrplantage, wo irgendwer zum Vollmond und zur Gitarre ein Lied von Feliciano singt.
Nein, es macht keinen Spaß, Kubanerinnen beim Discopop zu erleben, es sei denn, man hat das Glück, jemanden wie Tatjana vor sich zu sehen. Tatjana tanzte weder kubanisch noch euro-amerikanisch, ihr Stil wurzelte eine Etage tiefer, sie tanzte archaisch, sie tanzte, wenn sie ganz bei der Sache war, wie eine geile Schlange. Und wenn es ums Geld ging, tanzte Tatjana nur mit dem Po. Mit dem Po wackeln kann man zu jeder Musik. Aber nicht jede wackelte so schnell wie sie, denn Tatjana feierte, genau wie Marlene, gern auf Alkohol und Kokain. Mit Marlene hielt ich es neun Monate aus. Als ich ihr sagte, daß ich die Nase endgültig voll hätte und nicht mehr koksen wolle, verließ sie mich sofort. Zu Tatjana sagte ich ähnliches bereits nach drei Monaten, aber Tatjana löste das Problem irgendwie klüger als Marlene. Bevor sie mich lang und tief küßte, legte sie etwas Koks auf ihre Zungenspitze. Das eine war bitter, das andere war süß, und so wäre es wohl ewig weitergegangen, hätte das Schicksal es nicht anders gewollt.
In meinem Fall war es die Geldnot. Nach zwei Jahren auf Kuba hatte ich vergessen, wie man’s macht. Wie man es
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