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Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs

Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs

Titel: Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helge Timmerberg
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natürlich sehen Hemingways eiserne Schiffsschrauben-Augen weit hinaus aufs Meer.
    Frederico, der sich von der Büste weniger angezogen fühlte als ich, wartete lethargisch im Taxi. Wir fuhren zurück in die Stadt. Wir hatten Durst, und es traf sich, daß die letzte Station unserer Hemingway-Jubiläumstour eine Bar war. Die «Floridita», Downtown Havanna, zu Hemingways Zeit mitten im größten urbanen Bordell der Welt. In den vierziger und fünfziger Jahren konnte man sich hier über ein mangelndes Angebot an Amüsement nicht beklagen. Amüsement ist vergänglich. Die Feinheiten der kolonialen Architektur auch. Zu Papas Zeiten hatte das «Floridita» keine Klimaanlage, sondern Deckenventilatoren, und im Grunde auch keine Außenwände, sondern Balustraden und damit freie Sicht auf die Straße. Lichter, Mädchen, Convertibles.
    Schöne Mulattinnen flanierten mit schönem Geld. Der Barhocker, auf dem Hemingway saß, ist heute durch eine rote Kordel vom Rest des Lokals getrennt; auf der Straße standen drei Busse von «Cubatours», Volvo XL, in jedem Platz für fünfzig Touristen. Eine Busladung saß im «Floridita», als wir kamen, und trank schnell was, eine Busladung wartete in Zweierreihe an der Bar und versprengt zwischen den Tischen darauf, daß die erste ausgetrunken hatte, und die dritte Busladung stand vor der Tür. Nicht mal Hemingways Geist trank hier mehr. Was heißt «trank» nicht mehr? Er hat nicht getrunken. Er hat gesoffen. Kampftrinken mit Kubanern! Das ist wie Kung Fu mit Taiwan-Chinesen oder Versteckspielen mit Pygmäen im dunklen Herzen Afrikas. Sein Rekord waren siebzehn Mojitos in einer Nacht. Ich schätze, er hat sich schon lange vor seinem Selbstmord umgebracht. Später, erst viel später, hat die moderne Neurologie auch den wissenschaftlichen Beweis dafür erbracht, daß die kleine Fehlschaltung im Gehirn, die den Menschen zum Trinker macht, dieselbe ist, die ihn schreiben läßt. Wer hätte das gedacht. Auf den hundertsten Geburtstag des großen Säufers nahmen wir dann unseren Mojito weder in der «Bodega del Medio» noch im «Floridita», sondern ein paar Häuser weiter, in der «Bar Monserrate». Die ist noch immer offen an den Seiten, und irgendwann knipste sich draußen das Mondlicht an. Schreiber trinken, Huren lachen, Polizisten nehmen Geld. Sie haben es immer getan. «I did it my Hemingway», sagte ich zu Frederico, bevor ich ganz im Rum versank.

Stille
    (überall)
    D ie Stille ist voll mit Gedanken. Ein Hörgerät macht Gespräche daraus. Das ist schön, aber es funktioniert nicht immer. In Diskotheken, Bars, Clubs, sogar in Restaurants nützen mir die Geräte nichts, denn sie verstärken den ganzen Zirkus gleich laut. Und wenn ich sie rausnehme, wird alles gleich leise. Dann muß ich mit der Hand am Ohr einen Trichter formen, Lippen lesen und mich voll konzentrieren, um zu hören, was man mir sagen will, und weil sich das nicht immer wirklich lohnt, werde ich manchmal ziemlich wütend auf Leute, die meine schwerstarbeitende Aufmerksamkeit für etwas einfordern, das sie ihren Hunden erzählen sollten oder ihren Katzen oder den Taxifahrern dieser Welt.
    Klar, das ist ungerecht, denn diese Leute wissen ja nicht, wie es mir geht. Egal, wie oft ich es ihnen sage. Ich meine das Wissen, das in Erfahrung gründet. Niemand, der nicht selbst schwerhörig ist, kann nachvollziehen, daß solche Gespräche für mich wie Kreuzworträtsel sind. Ich muß die Löcher, die meine Behinderung in die Sätze der anderen reißt, mit Assoziationen ausfüllen, mit Logik, mit purer Intelligenz. So wird Smalltalk zum IQ-Test und Flirten zum freien Fall. Vielleicht hat sie ja gerade nicht «küß mich», sondern «verpiß dich» gesagt. Das kann durchaus sein. Durch beide Aufforderungen zischt ein scharfes s, zudem sind «mich» und «dich» Wörter mit je vier Buchstaben, von denen drei identisch sind. Soll ich eine Ohrfeige riskieren? Die riskiert man immer. Soll ich nachfragen? Das macht die Sache nicht besser, wenn ich sie beim zweiten Mal wieder nicht verstehe. Außerdem gibt es Dinge, die eine Frau nicht wiederholt, und dann, ja dann braucht es nur noch ein paar Überlegungen mehr dieser Art – und schon bin ich wieder bei mir und meinen Gedanken, der Stille des Universums und der Poesie des Einsamen, und sie hält mich entweder für feige oder für einen arroganten Arsch oder für behämmert. Und das war’s dann wieder mal.
    Die Medaille hat natürlich auch eine andere Seite. Nicht immer sitzt eine

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