Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs
nicht in Havanna. Den hatte ich in Marokko. Sex auf Kuba war irgendwo dazwischen, und irgendwo dazwischen reicht nicht, um dafür neun Stunden zu fliegen und zwei Jahre zu bleiben. Nein, wenn ich an die Höhepunkte meines Lebens auf Kuba denke, fallen mir keine Bettgeschichten ein, sondern immer nur die Parties, die Salsanächte. Ich war ein Tanztourist, und ich war süchtig nach ihrer Art zu feiern. Ich kam nicht los davon. Und weil es den Kubanern genauso ging, verstanden wir uns eigentlich prächtig. Sie lehrten mich tanzen, ich spendierte die Getränke. Ich spendierte auch die Drogen, die Eintrittskarten und die Abendgarderobe, hin und wieder spendierte ich meinen Tanzpartnerinnen sogar einen Kühlschrank oder eine Zahnbehandlung oder gern auch mal ein Klasseparfum, und in Wahrheit hätte ich ihnen sofort und für immer mein ganzes Leben spendiert, wenn sie dafür mit mir ein ganzes Leben getanzt hätten.
Ich weiß, das ist schwer zu erklären. Leichter zu erklären dagegen ist, warum Tatjana am Leben eines Pleitiers nicht sonderlich interessiert war. Das ist eben so auf Kuba. Hier geht «dinero» vor «amor». Tatjana hat mir, ich hab es gezählt, dreiunddreißig berauschende Feste beschert, dreiunddreißig Nächte tanzte sie mit mir wie eine Schlange und trank wie ein Kamel. Dreiunddreißigmal sind wir danach auf der Rückbank eines alten Chevrolets oder Buicks oder Fords mit heruntergekurbelten Fenstern durch den karibischen Morgen zu meinem Hotel gefahren, ausgetanzt, erschöpft geküßt, Rum-selig, und dabei hat Tatjana immer, also auch dreiunddreißigmal, ihre Beine so über den Vordersitz gelegt, daß ihre High-Heels den Kopf des Taxifahrers rahmten, und jetzt war es vorbei.
Es war mir fast einerlei. Ich war alt genug, um daran gewöhnt zu sein, daß Dinge vorbeigehen und Zeiten sich ändern. Außerdem ist es manchmal gut, daß sie sich ändern. Mit Tatjana tanzte, trank und feierte ich durch dreiunddreißig Nächte, mit Marlene durch fast hundert, und weil ich in den Monaten, die zwischen Marlene und Tatjana lagen, noch mit Adrenalina, Jaqueline, Maria, Ana und einigen Mädchen, deren Namen mir entfallen sind, getanzt, getrunken und gefeiert (also gekokst) habe, bedurfte ich dringend der Erholung. Ich mußte raus aus Kuba. Ich war ein halbes Wrack. Aber freiwillig wäre ich nie gegangen. Hätte Tatjana gesagt, paß auf, «mi amor y mi vida» (meine Liebe und mein Leben), ab sofort bezahle ich den Rum, das Koks, den Eintritt und den ganzen Schnickschnack, auch dein Essen und deine Zigaretten, und wohnen kannst du bei mir und meiner Mutter, sie ist eine großartige Köchin, was hältst du davon? Hätte Tatjana so mit mir gesprochen, wäre ich noch lange geblieben, aber sie sprach nicht so mit mir. «Vete con Dios, pero vete!» (Geh mit Gott, aber geh!) sagte sie, und ich sagte: «Alles klar. In Hamburg nennt man das no money, no honey, no cha-cha-cha.» Das brachte Tatjana zum Lachen. Und sie teilte, bevor sie für immer aus meinem Leben verschwand, dann doch noch das Getränk mit mir, das sie sich von meinem letzten Geld gekauft hatte. Und ich war stolz darauf. So schmeckt Cuba Libre.
I did it my Hemingway
(Havanna)
F ür Schreiber wie mich ist Hemingway ein Fluch. Man muß ihn lieben oder hassen, das ist normal. Mir war er egal. Das war mein Problem. Nicht wirklich egal, aber wir hatten so um die fünfunddreißig Grad und achtundneunzig Prozent Luftfeuchtigkeit, wir hatten Rum in der Nacht zuvor, und wir hatten eine Spannung im Raum. Ich ging Frederico auf die Nerven. «Die richtige Idee macht achtzig Prozent des Erfolgs aus», sagte er. «Den Rest arbeitet man ab.» Er hatte eine Idee. Ich solle schreiben, daß Hemingway noch lebe, als Hundertjähriger, irgendwo hier in Havanna. Den Selbstmord habe er vorgetäuscht, weil er darin die einzige Möglichkeit gesehen habe, den Rest seines Lebens in Ruhe zu verbringen. Frederico wußte auch schon eine Bar, in der ich den alten Mann treffen könnte, aber ich sprang nicht darauf an. «Was dann? Welche Geschichte über Hemingway ist noch nicht geschrieben worden? Sag mir das!»
Durch das Fenster, an dem Frederico stand, sah ich Hochhäuser aus den Vierzigern neben revolutionärem Plattenbau, am Ende der Bucht die alte Festung El Morro, unter mir war der Malecón, vor mir das Meer. Perfektes Zimmer mit perfekter Aussicht. Trotzdem keine Idee. Keine brauchbare. Ich schlug vor, mit einer Porträtaufnahme von Hemingway zu einem Santeria-Zauberer zu gehen, damit
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