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Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs

Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs

Titel: Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helge Timmerberg
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Schwertfische, Haie, Barrakudas. Erzählte die kleine Kubanerin. Ich fragte sie, ob das ihr Job sei. Sie sagte ja. Außerdem sei sie Literaturstudentin. Ich fragte sie, welches Buch von Hemingway sie am liebsten möge. Sie sagte, na ja, eigentlich möge sie Hemingway nicht so sehr, aber von allem, was er geschrieben habe, gefalle ihr «Paris, ein Fest fürs Leben» am besten. Ich fragte sie nach ihrem Lieblingsschriftsteller. «Dumas», sagte sie. «Henry Dumas.» Was hat der geschrieben? «‹Der Graf von Monte Christo›, du Penner», antwortete Frederico. Ende des Gesprächs.
    Frederico ist mein Freund, aber er ist auch ein erfolgreicher Fernsehproduzent. Weil er den Job bereits vor Jahren aufgegeben hat, kommt er zum Lesen. Er liest für meinen Geschmack unnatürlich viel. Zur Zeit Wondratschek. «Die Kelly-Briefe». Der neue Roman von John Le Carré interessiert ihn dagegen nicht. Den lese ich. Wir haben sehr unterschiedliche Interessen, unterschiedliches Temperament, ich glaube, auch unterschiedliche Bildungswege, und es gibt immer wieder Spannungen, aber auch Momente wie jene, als wir in Gartenstühlen an Hemingways Swimmingpool lagen, während Carlos das Boot fotografierte. Ein großer Pool, ohne Wasser, von tropischem Grün umstanden. «Hier trank er am Nachmittag», sagte Frederico, «am Ende der Nacht war er besoffen.» Wann schrieb er? «Vormittags.» Kannte Hemingway keinen Kater? «Ein Schriftsteller kennt keinen Schmerz.» Ich mußte tatsächlich lachen. Allein das Gespräch über Alkohol baute unsere Spannungen ab. Carlos kam dazu und war ebenfalls amüsiert. Er habe das Boot nur von hinten fotografieren dürfen. Von vorne sei verboten. Die kleine Kubanerin wisse auch nicht, warum. Es sei einfach verboten. Es gebe auch ein Schild, auf dem das stehe. Für einen Dollar habe sie sich umgedreht.
    Um seinen Wert in Kuba zu errechnen, muß man wissen, daß der Einheitslohn der Kubaner immer noch nicht mehr als dreißig Dollar pro Monat beträgt. Korruption ist deshalb auf der Insel so verbreitet wie H 2 O. Prostitution ebenso. Wie vor der Revolution. Castro hat verloren. Er hat Jura studiert, war Anwalt. Beinhaltet das Studium der Rechtswissenschaften nicht auch das Studium der Naturgesetze? Der Stärkere überlebt. Nichts, außer der Liebe, kann das Gesetz außer Kraft setzen, aber Liebe ist nun mal ein ganz und gar unorganisierbares Phänomen. Das muß der Papst ertragen, und das muß auch Dr.   Motte ertragen, der Erfinder der Love-Parade in Berlin; warum kann es Castro auf Kuba nicht? Er schickt mehr Polizei auf die Straße als je. Um was zu erzwingen? Die Revolution wird immer von Liebe getragen, die Diktatur nicht.
    Wir saßen wieder im Wagen, als wir darüber sprachen. Carlos, zum ersten Mal auf Kuba, konnte nicht verstehen, was wir alle an der Insel fanden. Frederico war bestimmt schon zwanzigmal hier, ich hatte immerhin zwei Jahre in Havanna gelebt, und Hemingway war dreißig Jahre da. Dann zog er nach Ohio. Nur ein Jahr nachdem er Kuba verlassen hatte, erschoß er sich. Warum er sich wirklich das Leben nahm, gehört zu den sieben meistgestellten Fragen der Menschheit. Die Frage nach dem wahren Mörder Kennedys gehört auch dazu. Ich weiß die Antworten nicht, aber ich bin sicher, es hat etwas mit Kuba zu tun. Erst lockt die Insel, dann besitzt sie dich, und wenn du dich von ihr befreien kannst, vermißt du sie für den Rest deines Lebens. Kubanischer Rum bei kubanischem Klima und kubanischer Musik, zu der Kubanerinnen tanzen. Das sind meine Erinnerungen.
    Hemingway hatte, allen Berichten zufolge, weniger Interesse an den kubanischen Mädchen. Er umgab sich mit kubanischen Fischern. Vornehmlich im kleinen Hafen von Cojimar, wo sein kubanischer Bootsführer noch immer lebt, aber leider, als wir das Dorf erreichten, nicht aufzutreiben war. Statt dessen besichtigten wir die Hemingway-Büste am Hafen, und ich war wie immer schwer bewegt. Da ruht nahe dem Wasser sein Kopf auf einer Säule, die ihrerseits wie in einem antiken Tempel in der Mitte eines Säulenkreises steht. Der Künstler war nicht sehr begabt, doch seine Auftraggeber haben es nicht bemerkt. Egal. Entscheidend war das Material. Die Fischer hatten dem Bildhauer die Schiffsschraube eines ihrer Boote gegeben, damit er sie einschmolz und das Antlitz ihres großen Freundes neu erschuf. Als Dank dafür, daß er über ihre Arbeit die Wahrheit geschrieben hatte. Einen großen Fisch zu fangen hat nicht weniger Größe als Weltliteratur. Und

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