Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs
und den Schwertkampf Kendo, dessen Techniken sich mühelos auf den Umgang mit Küchenmessern, Billardstöcken, Regenschirmen oder Baseballschlägern übertragen lassen. Weil er nach eigenen Angaben vor Jahren in Südostasien für die CIA gearbeitet hat, kann Amerikas mythenumrankter Actionstar sogar mit Kreditkarten und Servietten töten. Er geht nie ohne Waffe aus (jedes Kaliber, das in den Gürtel paßt) und nie ohne vier Bodyguards. Und seitdem einer der ranghöchsten Führer des tibetischen Buddhismus den Helden von «Nico», «Brooklyn Massaker» und «Alarmstufe: Rot» als reinkarnierten Lama aus dem 17. Jahrhundert geoutet hat, kommen Normalsterbliche wirklich nur noch an ihn heran, wenn sie bereit sind, zu beten und zu kämpfen. Seagal besitzt Aikido-Schulen in Japan und Kalifornien und gibt hin und wieder, wie jetzt in Paris, Seminare.
Ich hatte mir den falschen Kampfanzug gekauft. Schwarze Hose, schwarze Jacke, also gut für Kung-Fu und Kyokushin (einen der härtesten Stile im Karate), aber Aikidokämpfer tragen Weiß oder Schwarzweiß, falls sie einen Dan besitzen. In dieser Hinsicht ist Steven Seagal allerdings tolerant. Er selbst trug eine Kombination aus Buddha-Orange und Rot, die Seminarteilnehmer trugen, was sie wollten, sogar paramilitärische Uniformen mit schwarzem Gurt waren dabei. Diesbezüglich lag ich richtig. An der Farbe des Gürtels erkennt der Lehrer den Ausbildungsgrad des Schülers. Weiß steht für Anfänger; im Grunde hätte ich einen Gürtel tragen müssen, der noch ein bißchen weißer ist als weiß.
Die Halle D des Centre Sportif am Boulevard Masséna war erfüllt von Schweiß und Kampfgebrüll sowie von meinen bangen Fragen. Ich konnte nicht fallen, und wer beim Aikido nicht fallen kann, renkt sich die Schultern aus und bricht sich flott mal ein paar Knochen oder Halswirbel oder gleich das Genick, wenn es besonders dumm läuft. Beim Aikido wird nichts zerschlagen, aber alles verbogen, alles herumgewirbelt, zurückgerissen und auf den Boden geknallt, was sich nur biegen, wirbeln, reißen und knallen läßt. Im Idealfall eine sehr elegante Bewegung. Der Meister tanzt, und die Schüler fallen wie Blätter an ihm herab. Ganz so wie in «Nico», Seagals erstem Film, bei dem er schon im Vorspann Fertigkeiten demonstriert, die jeden Anfänger dazu bewegen, lieber erst vom Mattenrand zuzuschauen.
Am Mattenrand standen zwei Leibwächter mit Knopf im Ohr und sahen sich einigermaßen entgeistert an. Zwischen ihnen und dem Leib, den sie bewachen sollten, waren etwa zweihundert Mann sowie ein paar Frauen, und selbst die wollten mit Seagal kämpfen. Für Bodyguards eine absurde Situation. Sie durften die Matten nicht einmal betreten, denn sie trugen Straßenschuhe. Zudem handelte es sich bei den Seminarteilnehmern nicht ausschließlich um disziplinierte Aikido-Studenten mit profunden Kenntnissen der Techniken und der ihnen innewohnenden Philosophie (Zen). Es waren auch Jungs dabei, die einfach nur Seagals Filme mochten.
In der Welt der Actionfilme gilt Seagal als konsequentester Kämpfer. Dolph Lundgren und Jean-Claude Van Damme schlagen zwar härter, und Jackie Chan beweist mehr Phantasie, aber bei Seagal sehen Mord und Totschlag immer noch eine Dimension brutaler aus. Szenen, in denen er seinem Gegner ein Messer durchs Ohr ins Gehirn rammt oder ihnen den Kehlkopf herausreißt, bestechen durch ihre scheinbare Authentizität. Er kämpft leidenschaftslos, könnte man sagen, er kämpft kalt, und wenn er tötet, sind in seinen Augen weder Haß noch Wut zu lesen, höchstens Verachtung und eine Spur Amüsement. Killeraugen oder der Blick eines Samurai. Beides könnte stimmen.
Seagal, Sohn eines Mathematiklehrers aus Michigan, ist die klassische Hollywoodlegende. Mit sieben beginnt er Aikido bei einem in Kalifornien lehrenden Japaner. Mit einundzwanzig folgt er seinem Lehrer in das Land der aufgehenden Sonne und bleibt fünfzehn Jahre. Er lernt bei mehreren Großmeistern, unter anderen bei Sensei Isojamei, dem Lieblingsschüler von Morihei Ueshiba, dem legendären Gründer des Aikido, und Aikikai Hombu, dessen Tochter er heiratet. Als sein Schwiegervater stirbt, übernimmt Seagal Hombus Kampfschule in Osaka. Ein Novum. Steven Seagal ist der erste und bis heute auch einzige Amerikaner, der in Japan einen Dojo führen darf. Was heißt Dojo? Eine Schule, in der man meditieren und kämpfen lernt sowie militärische Disziplin, Respekt vor dem Lehrer, Achtung der Traditionen und Verachtung der
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