Der Joker
Sie selbst raus, während ich die Sauerei aufwische?«
»Aber sicher.«
Ich verlasse den Fernseher und das große Haus und bin erleichtert. Es ist gut gelaufen.
Ich schlafe besser, als ich es für möglich gehalten habe, und wache früh auf. Ich habe gestern Abend Homers »Odyssee«
gelesen. Ich suche das Buch, merke aber dann, dass es zwischen Bett und Wand zu Boden gerutscht ist. Dann fällt mir ein, dass heute der Tag ist. Tag der offenen Kirche. Ich lasse das Buch, wo es ist, und stehe auf.
Um acht Uhr kommen Audrey, Marv und Ritchie und gemeinsam gehen wir zur Kirche. Der Priester ist schon da. Er geht auf und ab und prägt sich seine Predigt ein.
Andere Leute tauchen auf:
Marvs Kumpel mit den Bierfässern und der Karaoke-Maschine.
Die Jungs mit der Hüpfburg.
Wir haben die Grills mitgebracht, und Ritchie und ein paar von seinen Jungs werden das Bier bewachen, während die Predigt läuft.
Um Viertel vor zehn fangen die Massen an zu strömen. Ich muss Milla abholen.
»He, Marv...« Ich fasse es nicht, dass ich das tun muss. »Kannst du mir deinen Wagen für zehn Minuten leihen?«
»Was?« Ich merke schon, dass er aus der Situation Kapital schlagen will, und zwar so viel wie möglich. » Du willst meine Scheißkarre ausleihen?«
Ich habe jetzt keine Zeit dafür. »Ja, Marv. Ich nehme auch alles zurück, was ich jemals über den Wagen gesagt habe.«
»Und?«
Und?
Dann fällt der Groschen. »Und ich werde nie wieder etwas Schlechtes über ihn sagen.«
Er grinst triumphierend und wirft mir die Schlüssel zu. »Pass gut auf ihn auf, Ed.«
Er treibt es wirklich auf die Spitze. Marv weiß genau, wie
viel Willenskraft es mich kostet, meinen Mund zu halten. Er wartet förmlich darauf, aber ich sage nichts.
»Braver Junge«, sagt er, und ich mache, dass ich wegkomme.
Milla wartet schon unruhig auf mich und öffnet die Tür, noch bevor ich die Stufen der Eingangstreppe hinaufgegangen bin.
»Hallo, Jimmy«, sagt sie.
»Hallo, Milla.«
Wir gehen zum Wagen und ich öffne ihr die Beifahrertür. Gemeinsam fahren wir zur Kirche. Eine angenehme Brise weht durch das zerbrochene Fenster.
Als wir ankommen, ist es fünf vor zehn. Ich kann es kaum fassen. Die Kirche ist gerammelt voll. Ich sehe sogar meine Mutter in ihrem grünen Kleid hineingehen. Ich glaube nicht, dass das Freibier sie angelockt hat. Sie will nur auf keinen Fall etwas verpassen.
Ich gehe zu einem der wenigen noch freien Plätze und bitte Milla, sich hierhin zu setzen.
»Und was ist mit dir, Jimmy?«, fragt sie besorgt. »Wo sitzt du?«
»Keine Angst«, sage ich zu ihr. »Ich finde schon noch einen Platz.« Aber ich suche gar nicht danach. Ich stelle mich zu den Leuten hinten in der Kirche und warte darauf, dass Vater O’Reilly herauskommt.
Als es zehn Uhr schlägt, nehmen die Kirchenglocken die Versammelten in Besitz und alle - die Kinder, die gepuderten Damen mit ihren Handtaschen, die Säufer, die Teenager und die Menschen, die jedes Mal hier sind -, alle versinken in Schweigen.
Der Priester.
Kommt heraus.
Er kommt heraus und alle warten auf seine Worte.
Eine Zeit lang betrachtet er nur die Menge. Dann erscheint das bodenständige Lächeln auf seinem Gesicht, und er sagt: »Hallo, ihr da draußen!«, und die ganze Kirche rastet aus. Alle klatschen und johlen und Vater O’Reilly sieht lebendiger aus als je zuvor. Ich habe allerdings keine Ahnung, dass auch er ein paar Tricks auf Lager hat.
Es folgen keine weiteren Worte.
Keine Gebete.
Er wartet, bis sich alle wieder beruhigt haben, zieht eine Mundharmonika aus seiner Robe und fängt an, eine gefühlvolle Melodie zu spielen. Nach der Hälfte des Liedes kommen ein paar ausgemergelte Männer in Anzügen hinzu. Einer trommelt auf dem Deckel einer Mülltonne, der zweite spielt Geige und der dritte ebenfalls Mundharmonika. Ein großartiger Auftritt.
Sie spielen und die Musik dröhnt durch die Kirche. Eine Stimmung, die ich noch nie zuvor empfunden habe, durchströmt uns alle. Als sie fertig sind, jubelt die Menge erneut, und der Priester wartet, bis es wieder still ist. Dann sagt er: »Dieses Lied war für Gott. Es stammt von Ihm und es ist Ihm gewidmet. Amen.«
»Amen!«, erwidert die Menge.
Danach spricht der Priester eine Zeit lang. Was er sagt, gefällt mir, auch die Art, wie er es sagt. Er redet nicht wie all die anderen Priester in ihren schmucken, reich dekorierten Kirchen, die nichts als gequirlte Scheiße von sich geben. Vater O’Reilly erzählt mit
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