Der Joker
»Machen Sie sich mal keine Sorgen, Vater.« Innerlich muss ich lachen. »Sie müssen nur glauben. Glauben ist alles.«
Nun, ich muss schon sagen.
In Zeiten wie diesen hilft es, wenn man unreife Freunde
hat. Man hat keine Probleme damit, Neuigkeiten zu verbreiten. Man braucht keine Poster. Man braucht keine Anzeigen in den Lokalblättern. Es gibt nur eine wirksame Methode, um eine Meldung in das Hirn eines jeden Einwohners dieser Stadt zu brennen.
Graffiti.
Marv ist plötzlich ungemein daran interessiert, am Sonntag in die Kirche zu gehen. Ich erzähle ihm von meinem Plan und weiß ohne jeden Zweifel, dass ich auf ihn zählen kann. Kindisches Benehmen ist sein Spezialgebiet. Er benimmt sich ja selten anders.
Wir klauen meiner Mutter und Ritchie die Grills. Ich miete eine Hüpfburg und borge mir von einem Kumpel von Marv, der in einer Kneipe arbeitet, eine Karaoke-Maschine. Wir organisieren ein paar Fässchen, handeln mit dem Metzger einen guten Preis für Würstchen aus und schon sind wir im Geschäft.
Jetzt ist es Zeit für die Sprühdosen.
Am Donnerstagnachmittag kaufen wir beim Malerzubehör ein und fallen am nächsten Morgen gegen drei Uhr morgens über die Stadt her. Marvs Wagen kommt schlingernd vor meiner Hütte zum Stehen, und wir beschließen, von hier aus durch die Stadt zu laufen. An jedem Ende der Main Street schreiben wir die Botschaft in riesigen Buchstaben auf die Straße:
Tag der offenen Kirche
Sonntag, 10.00 Uhr
St. Michael-Kirche
Essen, Gesang, Tanz
und
FREIBIER
Kommt alle oder ihr verpasst
eine TEUFLISCH gute Party!
Ich weiß nicht, wie es Marv geht, aber ich empfinde eine Art Kameradschaft, als wir uns hinknien und die Botschaft aufsprühen. Es schmeckt nach Jugend. Einmal schaue ich zur Seite und betrachte meinen Freund. Marv, der Streitsüchtige. Marv, der Geizhals. Marv, dessen Freundin verschwunden ist.
Nachdem die Arbeit erledigt ist, schlägt er mir auf die Schulter, und wir rennen davon, wie zwei edelmütige Räuber. Wir lachen und rennen, und die Atmosphäre ist so dicht und greifbar, dass ich das Gefühl habe, ich könnte hineinsinken und mich von ihr tragen lassen.
Ich liebe dieses Gelächter mitten in der Nacht.
Unsere Schritte hasten, und ich will nicht, dass sie still stehen. Ich will rennen und lachen und mich immer und ewig so fühlen. Ich will jenen unbehaglichen Moment umgehen, wenn die Realität uns einholt, sich mit Nägeln in unser Fleisch bohrt und wir einfach nur so nebeneinander dastehen. Ich will hier bleiben, in diesem Augenblick, und nie mehr woandershin gehen, nie mehr zu diesen Orten, wo wir nicht wissen, was wir sagen oder tun sollen.
Lass uns laufen, nur für den Augenblick.
Wir rennen und rennen, mitten durch das Gelächter der Nacht.
Am nächsten Morgen redet alle Welt von nichts anderem mehr. Wirklich und wahrhaftig alle Welt.
Die Polizei hat sogar schon bei Vater O’Reilly vor der Tür gestanden und gefragt, ob er irgendetwas von der Sache weiß. Er gibt zu, dass er in das Ereignis eingeweiht ist, erklärt aber, keine Ahnung zu haben, wer von seinen Schäfchen für die Art der Ankündigung verantwortlich ist.
Am Freitagnachmittag erzählt er mir davon.
»Wie Sie sich sicher denken können«, hat er den Polizisten erklärt, »habe ich einige ziemlich zweifelhafte Kunden. Welche barmherzige Kirche hat die nicht?«
Natürlich glaubten sie ihm. Wer würde an diesem Mann zweifeln?
»Alles klar, Vater, aber sagen Sie uns Bescheid, wenn Sie etwas herausfinden, okay?«
»Aber sicher.« Und als die Polizisten schon den Rückzug angetreten haben, schickt ihnen Vater O’Reilly noch eine Frage nach. »Werde ich Sie beide am Sonntag sehen?«
Und Bullen sind anscheinend auch nur Menschen.
»Freibier?«, gaben sie zurück. »Dazu kann man doch nicht Nein sagen.«
Herrlich.
Es ist alles vorbereitet. Alle kommen. Familien. Säufer. Abgrundtiefe Arschlöcher. Atheisten. Satanisten. Die hiesigen Goths. Einfach alle. Das schafft nur Freibier. Darauf kann man wetten. Das ist so sicher wie ein Full House.
Freitagnacht muss ich noch arbeiten, aber am Samstag habe ich frei.
An diesem Tag geschieht zweierlei.
Zuerst kommt mich Vater O’Reilly besuchen. Ich biete ihm etwas Suppe zum Mittagessen an. Nachdem er die Hälfte gegessen hat, hält er inne, und ich sehe, wie es in seinem Gesicht arbeitet.
Er legt seinen Löffel hin und sagt: »Ich muss dir etwas sagen, Ed.«
Ich höre auch auf zu essen. »Ja,
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