Der Joker
Polizei.
Der Priester klopft an meine Tür und bleibt dann einfach schweigend stehen.
»Was ist?«, frage ich ihn.
Aber er spricht nicht. Er steht bloß da und betrachtet mich. Er durchsucht mich nach einer Erklärung für das, was heute geschehen ist. Schließlich, so glaube ich, lässt er alle Worte beiseite. Er tritt nur vor, legt seine Hände auf meine Schultern und schaut mir sehr ernst in die Augen. Ich sehe, wie das, was ihn innerlich bewegt, die Haut auf seinem Gesicht verschiebt. Er sieht auf einmal sehr friedlich aus, sehr heilig, irgendwie.
Ich glaube, es ist das erste Mal seit langem, dass Vater O’Reilly Gelegenheit hat, jemandem zu danken. Normalerweise sagen immer andere Leute Danke zu ihm . Ich glaube, das ist der Grund, warum sein Gesichtsausdruck so schiffbrüchig wirkt und warum die Erkenntnis in seinen Augen in dem Versuch, mich zu erreichen, stolpert.
»Schon gut«, sage ich. Eine stille Freude breitet sich zwischen uns aus. Wir halten uns eine Weile daran fest.
Als er sich umdreht und geht, schaue ich ihm nach, bis er nicht mehr zu sehen ist.
Die Polizei kreuzt etwa um halb elf auf. Die Beamten strecken mir Wurzelbürsten und einen Kanister mit Lösungsmitteln entgegen.
»Um die Farbe von der Straße abzuwaschen«, sagen sie.
»Vielen Dank«, antworte ich.
»Ach, das ist doch das Mindeste, was wir tun können.«
Wieder hocke ich um drei Uhr morgens auf Knien auf der Hauptstraße, diesmal, um die Sprühfarbe vom Asphalt zu schrubben.
Warum ich ?, frage ich Gott.
Gott sagt nichts.
Ich lache und die Sterne schauen zu.
Lebendig zu sein, ist schön.
10
Eine Kleinigkeit und Eiskrem
Meine Arme und Schultern tun mir in den nächsten Tagen höllisch weh, aber ich glaube immer noch, dass es das wert war.
In der Zwischenzeit habe ich Angie Carusso gefunden. Es gibt nur ein paar Carussos im Telefonbuch, und ich eliminiere einen nach dem anderen, bis ich bei ihr angelangt bin.
Sie hat drei Kinder, zwei Jungen und ein Mädchen, und es sieht so aus, als sei sie eine von diesen für unsere Kleinstadt so typischen minderjährigen Müttern gewesen. Sie hat eine Teilzeitstelle in einer Apotheke. Ihr Haar ist kurz und dunkelbraun und sie sieht hübsch aus in ihrer Arbeitskleidung. Sie trägt einen knielangen weißen Krankenhauskittel, wie alle Apothekenhelferinnen. Mir gefällt er.
Jeden Morgen macht sie die Kinder fertig und bringt sie zur Schule. An drei Tagen in der Woche geht sie danach zur Arbeit. An den restlichen beiden kehrt sie nach Hause zurück.
Ich beobachte sie aus der Ferne und sehe, dass sie immer donnerstags ihren Lohn bekommt. An diesen Donnerstagnachmittagen holt sie ihre Kinder ab und geht mit ihnen in denselben Park, in dem ich mit dem Türsteher gesessen habe, als Sophie mich aufgespürt hat.
Sie kauft jedem ihrer Kinder ein Eis, und sie schlingen die Süßigkeit so schnell herunter, dass selbst ich es kaum glauben kann. Sobald sie fertig sind, wollen sie noch eins haben.
»Nein, ihr kennt die Regeln«, sagt Angie. »Nächste Woche kriegt ihr wieder eins, vorher nicht.«
»Bitte!«
»Bitte!«
Eins der Kinder fängt an zu flennen, und eine Sekunde lang wünsche ich mir, dass es meine Aufgabe wäre, diesem Jungen eine Lektion zu erteilen. Glücklicherweise hört er ziemlich schnell wieder auf zu heulen, weil er zur Rutsche will.
Angie schaut ihren Kindern eine Weile zu, bis ihr langweilig wird und sie alle nach Hause gehen.
Ich weiß.
Ich weiß es schon.
Eine Kleinigkeit , denke ich.
Eine Kleinigkeit, so wie Eiskrem.
Ich schaue ihr hinterher, und es sind ihre Beine, die mich traurig machen. Ich weiß auch nicht genau, warum. Vielleicht, weil sie sich langsamer bewegen, als sie es von Natur aus tun würden. Sie liebt diese Kinder, aber sie bremsen sie aus. Sie geht ein bisschen schräg, damit sie ihre Tochter an der Hand halten kann.
»Was gibt’s zum Essen, Mum?«, fragt einer der Jungen.
»Das weiß ich noch nicht.«
Sanft schiebt sie sich eine Strähne dunklen Haars aus den Augen und geht weiter, hört den Worten ihrer Tochter zu, die von einem Jungen in der Schule erzählt, der nicht aufhört, sie zu ärgern.
Was mich betrifft, so schaue ich den kurzen Schritten von Angies Beinen nach.
Sie machen mich traurig.
In den nächsten Tagen habe ich eine Menge Tagschichten und abends viel Zeit zum Herumlaufen. Meine erste Station ist die Edgar Street. Das Haus ist hell erleuchtet und ich sehe Mutter und Tochter beim Essen sitzen. Mir
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