Der Joker
kommt der Gedanke, dass die beiden jetzt, wo der Mann nicht mehr da ist, womöglich nicht mehr genug Geld haben, um ihre Rechnungen zu bezahlen. Andererseits hat er vermutlich ohnehin das meiste versoffen, und ich bin mir ziemlich sicher, dass es ihr ganz recht ist, ein bisschen ärmer zu sein, wenn er ihr dafür nicht wieder auf die Pelle rückt.
Ich gehe auch zu Milla, und später schaue ich bei Vater O’Reilly herein, der nach dem Tag der offenen Kirche immer noch im siebten Himmel schwebt. In der Woche danach kamen merklich weniger Leute zur Predigt, aber die Kirche war dennoch viel voller als früher.
Zuletzt gehe ich zu allen Adressen, unter denen jemand mit dem Nachnamen Rose gemeldet ist. Es gibt acht davon und bei Nummer fünf habe ich Glück.
Gavin Rose.
Er ist etwa vierzehn und trägt vergammelte Klamotten und einen verächtlichen Gesichtsausdruck, der ihm förmlich
im Gesicht zu kleben scheint. Sein Haar ist ziemlich lang und seine Flanellhemden erinnern an Putzlumpen. Schmierig hängen sie ihm über den Rücken.
Er geht in die Schule.
Er ist Kettenraucher.
Er hat blaue Augen, wie eingefärbtes Toilettenwasser, und ungefähr ein Dutzend Sommersprossen über sein Gesicht verteilt.
Er ist ein gigantisches Arschloch.
Zum Beispiel geht er in den Laden an der Ecke und macht sich über den Besitzer lustig, der nicht besonders gut Englisch spricht. Er stiehlt Gegenstände aus diesem und anderen Läden - alles, was in seine Armbeuge oder in seine Hosentasche passt. Er schubst schwächere Kinder herum und spuckt sie an, wann immer sich die Gelegenheit bietet.
Während ich ihn beobachte, wenn er zur Schule geht, passe ich auf, dass Sophie mich nicht dabei erwischt. Ich habe immer noch die Befürchtung, dass sie mich sehen und glauben könnte, dass ich mich gerne in der Nähe von Schulhöfen herumtreibe. Und spanne.
Meistens habe ich ein Auge auf Gavin, wenn er zu Hause ist.
Er wohnt mit seiner Mutter und seinem älteren Bruder zusammen.
Seine Mutter raucht ebenfalls Kette, trägt Cowboystiefel und trinkt gerne einen über den Durst. Der Bruder ist genauso übel drauf wie Gavin. Ich befinde mich in einem regelrechten Dilemma zu entscheiden, wer von beiden schlimmer ist.
Die Familie lebt am Stadtrand, nicht weit von einem schmutzigen, seichten Bach entfernt. Das einzig Bemerkenswerte an diesem Ort ist, dass sich die Rose-Brüder ständig prügeln. Sie streiten sich, wenn ich morgens komme. Am Abend hämmern sie mit Fäusten aufeinander ein. Und werfen sich Beleidigungen an den Kopf.
Ihre Mutter hat sie überhaupt nicht unter Kontrolle.
Sie trinkt, um die beiden zu ertragen.
Sie schläft auf dem Sofa ein, während die täglichen Seifenopern über den Bildschirm und über sie hinweggleiten.
Innerhalb einer Woche habe ich etwa ein Dutzend Prügeleien zwischen den Brüdern beobachtet, und eines Abends, am Dienstag, geht es besonders schlimm zu. Die Eingangstür explodiert förmlich und dann geht es ums Haus herum. Der ältere Bruder, Daniel, vermöbelt Gavin nach Strich und Faden. Gavin ist zusammengekrümmt und Daniel zerrt ihn am Kragen hoch.
Er hält seinem Bruder eine Standpauke und schüttelt gleichzeitig dessen Kopf hin und her.
»Ich - hab - dir - doch - ge - sagt - dass - du - mei - ne - Sa - chen - nicht - an - rüh - ren - sollst - klar?«
Er schleudert ihn zu Boden und geht dann ganz gelassen wieder ins Haus.
Gavin liegt da und nach ein paar Minuten erhebt er sich auf die Hände und Knie und ich schaue von der anderen Straßenseite aus zu.
Schließlich tastet er in seinem Gesicht nach Blut, flucht und fängt an, halb gehend, halb rennend, die Straße hinunterzulaufen. Die ganze Zeit lang schimpft er vor sich hin, Worte von Hass und Mord und Totschlag. Dann bleibt er
stehen, ganz unten am Hang, wo das Buschwerk bis auf die Straße reicht, und setzt sich auf den Bordstein.
Meine Zeit ist gekommen.
Ich gehe zu ihm und stelle mich vor ihn hin. Ich muss zugeben, dass mich ein kleines bisschen die Nervosität packt. Der Junge ist ein harter Brocken und wird mir nichts schenken.
Über uns hängt eine Straßenlaterne und schaut zu.
Eine leichte Brise kühlt den Schweiß auf meinem Gesicht, und ich sehe, wie mein Schatten langsam über Gavin Rose fällt.
Er schaut auf.
»Was zum Teufel willst du?«
Heiße Tränen kochen auf seinem Gesicht und seine Augen beißen.
Ich schüttele den Kopf. »Nichts.«
»Na, dann mach, dass du Land gewinnst, du Wichser, oder ich
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