Der Joker
die Nase hoch und geht ohne ein Wort weiter, die Gleichgültigkeit in Person.
»Wie ist deins?«, fragt Marv nach einer Weile. »Oder besser gesagt: Was ist es?«
»Eier und Käse und noch irgendwas.«
»Ich denke, du magst keine Eier?«
»Tu ich auch nicht.«
»Warum hast du’s dann bestellt?«
»Auf dem Teller dieses Typen sah es nicht aus wie Eier.«
»Oh. Willst du was von mir haben?«
Ich nehme sein Angebot an und esse etwas von seinem flachen Brot. Gar nicht schlecht.
Schließlich frage ich Marv, warum er sich ausgerechnet den heutigen Tag ausgesucht hat, um mich zum Frühstück einzuladen. Das ist noch nie vorgekommen. Ich habe noch nie in meinem Leben in einem Café gefrühstückt. Und außerdem käme es Marv normalerweise nie in den Sinn, für mich zu bezahlen. Undenkbar! Normalerweise würde er eher sterben.
»Marv«, sage ich und schaue ihn direkt an. »Warum sind wir hier?«
Er schüttelt den Kopf. »Ich...«
»Du willst sichergehen, dass ich heute Nachmittag zum Spiel auftauche, nicht wahr? Du willst mich noch ein bisschen weichklopfen.«
Was dieses Thema betrifft, kann Marv mich einfach nicht anlügen. Und er versucht es erst gar nicht. »So in etwa.«
»Ich bin da, keine Sorge«, sage ich zu ihm. »Punkt vier Uhr.«
»Gut.«
Der Rest des Tages rutscht vorbei. Dankenswerterweise gibt mir Marv die nächsten paar Stunden frei, sodass ich nach Hause gehen und ein bisschen schlafen kann.
Als es Zeit ist, gehe ich zusammen mit dem Türsteher in Richtung Sportplatz. Der Türsteher hat sich von der guten Laune anstecken lassen, die mich trotz meines ramponierten Äußeren gepackt hat.
Wir gehen bei Audrey zu Hause vorbei.
Keiner da.
Vielleicht ist sie schon zum Sportplatz gegangen. Sie hasst Football, aber trotzdem ist sie immer da. Jedes Jahr.
Es ist fast Viertel vor vier, als wir in die Senke einmarschieren, wo sich die Sportanlagen befinden. Ich muss an Sophie denken, drüben auf der Leichtathletikbahn. Der Gedanke an sie lässt dieses Spiel noch jämmerlicher erscheinen, als es ohnehin schon ist. Um das Footballfeld haben sich schon einige Zuschauer versammelt, während die Aschenbahn leer ist, bis auf die Erinnerung an ein barfüßiges Mädchen.
Ich sinne dieser Schönheit nach, so lange ich kann. Dann wende ich mich ab und stelle mich dem, was da kommen mag.
Der Geruch von Bier wird stärker. Es ist heiß. Etwa zweiunddreißig Grad.
Die beiden Teams stehen in entgegengesetzten Ecken des Spielfelds, und die Zuschauermenge - ein paar hundert - wächst langsam, aber stetig. Der Knochenbrecher ist jedes Mal ein kleines Ereignis. Das Spiel findet immer am ersten Samstag im Dezember statt, und zwar - so glaube ich jedenfalls - schon zum fünften Mal. Ich bin seit drei Jahren dabei.
Ich lasse den Türsteher im Schatten eines Baums zurück und gehe zu meinem Team. Diejenigen, die mich bemerken, werfen mir rasch einen zweiten Blick zu. Ihr Interesse ist allerdings stets von kurzer Dauer. Es sind Kerle, die an den Anblick von blauen Augen und Blut gewöhnt sind.
Nach fünf Minuten wird mir ein blaues Trikot mit roten und gelben Streifen zugeworfen. Nummer zwölf. Ich ziehe meine Jeans aus und streife stattdessen schwarze Shorts über. Socken und Schuhe sind nicht erlaubt. So sind die Regeln beim Knochenbrecher. Keine Socken und nichts,
was den Körper schützen könnte. Nur ein Trikot, Turnhosen und ein loses Mundwerk. Das ist alles, was man braucht.
Wir sind die »Colts«. Die anderen sind die »Falken«. Sie tragen grünweiße Trikots und dazu passende Shorts, aber eigentlich kümmert sich niemand um solche Äußerlichkeiten. Wir können froh sein, überhaupt Trikots zu haben. Die Trikots sind von richtigen Footballvereinen geklaut oder wurden dort nicht mehr gebraucht.
Beim Knochenbrecher spielen vierzigjährige Männer mit. Große, grobschlächtige Feuerwehrleute oder Bergarbeiter. Dann gibt es ein paar Mittelgewichte, ein paar junge Leute wie Marv, Ritchie und mich, und dann noch einige, die wirklich gut spielen können.
Ritchie ist der Letzte unserer Mannschaft, der auftaucht.
»Schau, schau, was die Katze von der Gasse mitgebracht hat«, sagt einer von den Gorillas. Sein Freund erklärt ihm, dass es eigentlich heißt: »was die Katze aus der Gosse mitgebracht hat«, aber der Dicke ist zu blöd, um den Unterschied zu kapieren. Er trägt etwas im Gesicht, was wir als »Merv-Hughes-Schnurrbart« bezeichnen. Das wird dir wahrscheinlich nichts sagen - so
Weitere Kostenlose Bücher