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Der Joker

Titel: Der Joker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Zusak Alexandra Ernst
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rufe ich.
    Nichts.
    Dieses Etablissement hat offenbar schon vor Jahren den Todesstoß bekommen, als das neue Kinozentrum in der Stadt eröffnet wurde. Der Laden ist menschenleer.

    »Hallo?«, rufe ich noch einmal, diesmal lauter.
    Ich schaue in ein Hinterzimmer und finde einen alten Mann vor. Er schläft. Er trägt einen Anzug und eine Fliege, wie ein Platzanweiser aus der Vergangenheit.
    »Alles klar, Mann?«, frage ich, und er wacht mit einem Ruck auf.
    »Oh!« Er springt von seinem Stuhl und zieht sich die Jacke gerade. »Was kann ich für Sie tun?«
    Ich betrachte das Schild über der Kasse und sage: »Einmal ›Casablanca‹, bitte.«
    »Du meine Güte, Sie sind seit Wochen mein erster Kunde!«
    Die Falten um die Augen des Mannes sind tief und er hat unglaublich buschige Augenbrauen. Sein weißes Haar ist perfekt frisiert, und obwohl er kahl wird, hält er es nicht für nötig, die Stelle zu überkämmen. Sein ganzes Auftreten wirkt echt. Der Mann ist hocherfreut. Nein, er ist geradezu entzückt.
    Ich bezahle mit einem Zehn-Dollar-Schein und er gibt mir fünf Dollar zurück.
    »Popcorn?«
    »Ja, bitte.«
    Er zittert vor Freude, als er mir das Popcorn in die Tüte füllt. »Geht auf’s Haus«, sagt er und zwinkert mir zu.
    »Danke schön.«
     
     
    Das Kino selbst ist klein, aber die Leinwand ist riesig. Ich muss eine Weile warten, aber gegen fünf vor halb drei kommt der alte Mann in den Saal. »Ich glaube nicht, dass noch andere Zuschauer kommen. Wäre es Ihnen recht, wenn wir etwas früher anfangen?« Wahrscheinlich hat er Angst, dass ich die Warterei satt habe und wieder gehe.

    »Von mir aus gerne.«
    Er eilt den Gang entlang aus dem Kinosaal.
    Ich sitze fast genau in der Mitte des Kinos, vielleicht etwas näher an der Leinwand als am Ausgang.
    Der Film fängt an.
    Schwarzweiß.
    Mittendrin wird die Leinwand plötzlich schwarz. Ich schaue zu dem kleinen Fenster hoch, hinter dem der Projektor steht. Er hat vergessen, die Rolle zu wechseln. Ich rufe hinauf.
    »He!«
    Nichts.
    Ich vermute, dass er wieder eingeschlafen ist, also gehe ich hinaus und sehe nach. Ich öffne eine Tür, auf der »Zutritt nur für Personal« steht. Sie führt zu dem Vorführraum, wo der Mann friedlich schnarcht. Er hat sich in seinem Stuhl zurück und gegen die Wand gelehnt.
    »Sir?«, sage ich.
    Er schreckt hoch. »Oh nein!«, schreit er, wütend über sich selbst. »Nicht schon wieder!«
    Er regt sich fürchterlich auf, saust herum, legt die neue Filmrolle ein, schimpft auf sich selbst und entschuldigt sich am laufenden Band.
    »Schon gut«, sage ich zu ihm. »Beruhigen Sie sich.« Aber er will nichts davon hören.
    Immer wieder sagt er zu mir: »Keine Sorge, mein Freund, Sie bekommen Ihr Geld zurück. Und eine kostenlose Filmvorführung, nur für Sie. Den Film können Sie sich aussuchen.« Eilig bekräftigt er sein Versprechen: »Jeden Film, den Sie wollen.«
    Ich nehme das Angebot an. Ich habe keine andere Wahl.

    Er drängt mich, wieder nach unten zu gehen, damit ich nichts verpasse.
    Bevor ich den Vorführraum verlasse, verspüre ich das Bedürfnis, mich vorzustellen. »Ich heiße Ed Kennedy«, sage ich und strecke meine Hand aus.
    Er hält mitten in der Bewegung inne, schüttelt meine Hand und schaut mich an. »Ja, ich weiß, wer Sie sind.« Einen Augenblick lang vergisst er die Filmrolle und schenkt mir einen liebenswürdigen, freundlichen Blick. »Man hat Sie angekündigt.«
    Dann fährt er mit seiner Arbeit fort.
    Ich stehe da.
    Das wird ja immer besser.
    Ich schaue mir den Rest des Films an und schwöre mir, dass ich das Kino nicht eher verlasse, bis mir der Mann gesagt hat, wer ihn über mein Kommen informiert hat.
    »Hat es Ihnen gefallen?«, fragt er, als ich aus dem Saal komme. Aber ich lasse mich gar nicht auf irgendwelche Diskussionen ein.
    »Wer hat Ihnen gesagt, dass ich herkommen würde?«
    Er spielt den Unwissenden.
    Ich bleibe beharrlich.
    »Nein.« Er gerät fast in Panik. »Ich kann nicht.« Er rückt von mir ab. »Ich habe es ihnen versprochen und es waren so nette Jungs...«
    Ich ziehe ihn zu mir und schaue ihm in die Augen. »Wer?«
    Er sieht jetzt noch älter aus und inspiziert seine Schuhe und den Teppich.
    »Waren es zwei Männer?«, frage ich.
    Die Antwort in seinen Augen lautet Ja.
    »Daryl und Keith?«

    »Wer?«
    Ich versuche es anders. »Haben sie Ihr ganzes Popcorn gegessen?«
    Wieder ein bestätigender Blick.
    »Dann waren es Daryl und Keith«, sage ich grimmig. Die verfressenen Mistkerle. »Sie

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