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Der Joker

Titel: Der Joker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Zusak Alexandra Ernst
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Besseres verdient hat.
    Natürlich war er ein Säufer, besonders gegen Ende seines Lebens, aber er war so freundlich, so großzügig und sanft. Ich schaue in meine Spagettisoße und sehe sein Gesicht vor mir, sein kurzes schwarzes Haar und seine fast farblosen Augen. Er war ziemlich groß, und wenn er zur Arbeit ging, trug er immer ein Flanellhemd und hatte eine Zigarette im Mundwinkel. Zu Hause rauchte er nie. Nicht im Haus jedenfalls. Auch er war ein Gentleman, trotz allem.

    Ich denke auch daran, wie er, nachdem die Kneipe zugemacht hatte, durch die Haustür getorkelt kam und sich aufs Sofa fallen ließ.
    Natürlich brüllte meine Mutter ihn an, aber es nutzte nichts.
    Sie piesackte ihn sowieso jeden Tag. Er arbeitete sich den Hintern wund, aber es war nie genug für sie. Erinnerst du dich noch an die Sache mit dem Beistelltisch? Mit so etwas musste sich mein Vater jeden Tag herumschlagen.
    Als wir jünger waren, hat er oft Ausflüge mit uns Kindern unternommen, zum Nationalpark, an den Strand und zu einem etwas weiter entfernten Spielplatz mit einem riesigen Raumschiff aus Metall. Nicht so wie die Spielplätze, auf denen die armen Kinder heutzutage spielen müssen - überall nur Plastik, zum Kotzen. Er unternahm viel mit uns und schaute schweigend zu, wie wir spielten. Manchmal blickten wir zu ihm, und dann saß er da, rauchte zufrieden und träumte vor sich hin. Die erste Erinnerung meines Lebens ist meine Wenigkeit im Alter von vier Jahren, wie ich auf Gregor Kennedy, meinem Vater, Huckepack ritt. Damals war die Welt noch nicht so groß und ich konnte alles sehen. Damals war mein Vater ein Held und kein Mensch.
    Jetzt sitze ich hier und frage mich, was ich als Nächstes tun muss.
     
     
    Meine erste Tat ist der Entschluss, meinen Teller nicht leer zu essen. Ich beobachte meine Mutter und ihren Begleiter. Es ist nicht zu übersehen, dass die beiden nicht zum ersten Mal hier sind. Die Kellnerin kennt sie und bleibt kurz an ihrem Tisch stehen, um ein paar Worte zu wechseln. Sie
fühlen sich wohl in der Gesellschaft des anderen. Ich will bitter sein und zornig, aber ich bremse mich noch rechtzeitig. Was für einen Sinn hätte das? Immerhin ist sie ein Mensch und hat das Recht, glücklich zu sein, genauso wie jeder andere.
    Erst ein paar Minuten später begreife ich meinen ersten Impuls, ihr das offensichtliche Glück zu neiden.
    Es hat nichts mit meinem Vater zu tun.
    Es hat mit mir zu tun.
    In einem plötzlichen Anfall von Übelkeit erkenne ich den absoluten Horror der Situation:
    Da sitzt meine Mutter, etwas über fünfzig Jahre alt, und flirtet ungeniert mit irgendeinem Typen - und hier sitze ich, in der Blüte meiner Jugend, ganz und gar allein.
    Ich schüttele den Kopf.
    Über mich selbst.

10
    Sturm auf der Veranda
    Die Kellnerin räumt die restlichen Spagetti ab und bringt die Lasagne des Türstehers in einer billigen Aluschale. Er wird sich darüber vermutlich sehr freuen.
    Ich husche zum Tresen und bezahle, schaue mich noch einmal nach meiner Mutter und dem Mann um, vorsichtig, um nicht gesehen zu werden. Aber sie ist völlig in ihn versunken. Sie starrt ihn an und lauscht seinen Worten mit einer solchen Intensität, dass ich mir keinerlei Mühe mehr gebe, meine Anwesenheit zu verbergen. Ich bezahle und verlasse das Restaurant, gehe aber nicht heim.

    Ich laufe zum Haus meiner Mutter und warte auf der Veranda.
    Das Haus riecht nach meiner Kindheit. Ich kann riechen, wie der Duft unter der Tür nach draußen kriecht, während ich auf dem kühlen Betonboden hocke.
    Die Nacht funkelt vor Sternen. Ich lege mich auf den Rücken und schaue hinauf, verliere mich dort oben. Ich habe das Gefühl, als würde ich fallen, aber nach oben, hinein in den Abgrund des Himmels über mir.
    Das Nächste, was ich fühle, ist ein Fuß, der mich anstupst.
    Ich wache auf und richte meine Augen auf das Gesicht, das zu dem Fuß gehört.
    »Was willst du denn hier?«, fragt sie.
    So ist meine Mutter.
    Die Freundlichkeit in Person.
    Ich stütze mich auf den Ellbogen auf und beschließe, nicht um den heißen Brei herumzureden.
    »Ich wollte dich fragen, ob du dich im ›Melusso’s‹ gut amüsiert hast.«
    Ein Ausdruck der Überraschung fällt ihr aus dem Gesicht, obwohl sie versucht, ihn aufzuhalten. Er löst sich und erst dann bekommt sie ihn zu fassen und dreht ihn hin und her. »Es war sehr nett«, sagt sie, aber ich merke, dass sie versucht, Zeit zu gewinnen, um sich ihre Argumente zurechtzulegen. »Eine Frau muss leben.«
    Ich

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