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Der Judas-Schrein

Der Judas-Schrein

Titel: Der Judas-Schrein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gruber
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pechschwarze Wurzel bewegte, das Erdreich aufwühlte und wie ein Wurm hineinschob. »Scheiße, das Ding gräbt sich tiefer!«
    Ein erneutes Zittern durchlief den Stollen, diesmal kräftiger. Dittrich und Grieg taumelten, fingen sich aber an der Holzkonstruktion. Paulsen fiel rücklings zu Boden. Er starrte auf einen Haarriss, der über die Decke wanderte. Der Berg beruhigte sich nicht mehr, eine Welle um die andere erschütterte den Stollen. Eine Benzingaslampe fiel vom Haken und zersprang. Dittrich trat die Flammen aus. Paulsen rappelte sich auf und schnappte sich seine Lampe. Sie mussten schleunigst aus dem Berg raus. In der Zwischenzeit hatten die Männer seiner Vormittagsschicht, die im Schrägstollen Gleise verlegten, das Beben gewiss bemerkt. Sie waren bestimmt schon zum Bergeaufzug unterwegs und würden dort auf Karmanns Truppe stoßen. Paulsen packte Grieg an der Schulter, gemeinsam stolperten sie über die Gleise.
    »Wartet!«, rief Dittrich. »Wir können ohnehin nicht alle gleichzeitig im Aufzug nach oben fahren. Wir kommen frühestens in zehn Minuten dran.« Dittrich stand am Ende des Stollens, hielt die Lampe im Arm und wies mit spitzem Finger zu Boden. »Die Wurzel ist verschwunden!« Das Licht spiegelte sich in seiner Brille, die Schatten in seinem Gesicht modellierten die hohen Wangenknochen und das spitze Kinn heraus.
    Widerwillig kehrte Paulsen zu Dittrich zurück und beleuchtete das Loch. Die Wurzel war tatsächlich verschwunden! Stattdessen klaffte ein mannsgroßer Spalt im Erdreich. Dittrich kniete davor und bohrte mit den Fingern in der Erde.
    »Nicht reingreifen!«, rief Grieg. Dittrich fuhr zurück.
    »Es ist ein Loch, nichts weiter.« Paulsen scharrte mit der Schuhspitze in der Erde. »Können wir jetzt gehen?«
    Dittrich starrte ihn fassungslos an. »Da unten liegt ein Hohlraum, darin muss sich die Wurzel befinden.« Er leuchtete mit der Lampe in den Grubenriss, doch sie konnten nichts als Dunkelheit erkennen.
    »Schluss damit!«, mahnte Grieg. »Besser wir sehen da nicht rein. Wer weiß, was sich da unten noch alles befindet.«
    »Die Wurzel, was sonst?« Dittrich starrte in das Loch. Er hielt die Hand in den Spalt und ließ die Lampe hinunter. Die Erdwände schillerten schwarz, sonst war nichts zu erkennen.
    »Und weißt du auch, was sich am Ende der Wurzel befindet, Schlaumeier?«, fuhr ihn Grieg an.
    »Das versuche ich gerade herauszufinden.« Dittrich beugte sich tiefer hinunter, bis sein Oberarm im Loch verschwunden war. Die Brille rutschte ihm auf die Nasenspitze. Da erfasste ein Luftzug die Lampe und brachte die Flamme zum Flackern. »Von unten kommt ein Windstoß rauf. Ich weiß nicht, was das bedeutet, jedenfalls ist es kein gutes Zeichen.«
    Dittrich schrie auf. Wie vom Blitz getroffen riss er die Hand aus der Erdspalte und kroch einen Meter von der Kante weg. Er hatte die Handlampe fallen lassen. Sie schlug klimpernd an die Wand und schlitterte in die Spalte. Sekunden später erlosch das Licht, doch das Scheppern drang weiter zu ihnen herauf.
    »Was ist?« Paulsens Stimme bebte.
    Dittrich hob das bleiche Gesicht. »Ich hab etwas gesehen. Da unten hat sich was bewegt.«
    »Himmel, deine Fantasie spielt verrückt!«, spottete Paulsen. »Normalerweise passiert das erst, wenn man drei Tage verschüttet ist und der Sauerstoff zu Ende geht. Aber du drehst schon jetzt durch.«
    »Aber ich habe etwas gesehen«, murmelte Dittrich. »Ich bin doch nicht blind.«
    »Das war eine Spiegelung in deiner Brille!«
    »Ich weiß wie eine Spiegelung aussieht!«
    »Ja, ja«, beruhigte ihn Paulsen. »Erzähl uns das oben. Wir müssen zum Aufzug.« Er machte einen Satz über die Spalte, packte Dittrich an der Jacke und zog ihn hoch.
    Grieg stützte Dittrich auf der anderen Seite. Der Stollen war groß genug, sodass sie dicht gedrängt nebeneinander laufen konnten. Da fuhr ein neuerliches Beben durch den Stollen. Der Boden rumorte unter ihren Füßen, über ihnen knarrte das Holzgebälk. Die Wände wankten, plötzlich gab eine Deckenstütze nach und brach in der Mitte durch. Holzspäne trafen ihre Gesichter. Grieg hustete. Das Beben schien sich nicht zu beruhigen; eine Erschütterung jagte die nächste, und ihre Wucht nahm stetig zu.
    Über den Männern stürzte das Erdreich durchs Gebälk.
    »Raus hier!«
    Paulsen, Grieg und Dittrich liefen zum Ausgangspunkt des Hauptstollens, wo die anderen Männer jeweils zu viert mit dem Bergeaufzug nach oben fuhren … sofern sie noch Strom hatten.
    Paulsen hoffte,

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