Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Judas-Schrein

Der Judas-Schrein

Titel: Der Judas-Schrein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gruber
Vom Netzwerk:
Paulsen erwischte ihn gerade noch an der Jacke. »Und keine erfundenen Geschichten!«, schärfte er ihm ein. »Du erzählst deinem Vater nur, was du gesehen hast.«
    »Klar!« Degel lief zum Bergeaufzug. Die nächste Stollenbiegung verschluckte das Licht seiner Lampe.
    »Paulsen«, befahl Grieg, »du trommelst die Kumpel aus dem Schrägstollen zusammen. Wir beginnen. Und der Rest von euch hält sich an den Schichtwechsel. Karmann und die Kumpel von der Nachtschicht fahren rauf. Nehmt den gebrochenen Bohrhammer mit und schickt uns einen neuen aus dem Magazin runter. Während der nächsten halben Stunde kommen wir ohnehin nicht zum Schrämen.«
    »Was passiert mit diesem Gewächs?«, fragte Gnoll, der die Wurzel mit der Hacke freigelegt hatte.
    Grieg scharrte mit dem Schuh über den Boden, der die schwarze Flüssigkeit aufgesogen hatte. Das Erdreich gab nach und sackte ein. Der glänzende Schlamm klebte Grieg an der Sohle. »Wir rühren es nicht an und versuchen, die Gleise darüber zu verlegen. Dittrich, du holst vier Zehner-Holzschwellen und jede Menge Keile! Wir heben die Gleise an und führen die Hunte über die Wurzel hinweg.«
    Das war es! Paulsen war nicht glücklich darüber, aber etwas Besseres fiel ihnen im Moment nicht ein. Die bis Mittag zu erzielende Förderquote schafften sie ohnehin nicht mehr, und mit dem Umbau der Gleise würden sie eine weitere Stunde verlieren.
    »Ihr habt es gehört!«, rief Karmann. »Vorwärts, wir fahren rauf.«
    Die Männer nahmen ihre Grubenlampen und das Werkzeug und stapften zum Bergeaufzug. Plötzlich hielten sie inne und starrten einander an. Der Boden wankte unter ihren Füßen. Zetko ließ den gebrochenen Bohrhammer sinken, Karmann stieß einen lauten Fluch aus.
    »Was war das?« Paulsen legte die Hand an die Wand. Die Erschütterung hörte ebenso rasch auf wie sie begonnen hatte.
    Grieg nahm den Helm ab und hielt ein Ohr an die Tunnelwand. Die Männer redeten aufgeregt durcheinander. »Seid still!«, fauchte Grieg. Wütend fuchtelte er mit dem Arm durch die Luft. Es wurde mucksmäuschenstill.
    »Hörst du etwas?«, flüsterte Paulsen.
    »Es kommt von unten.« Grieg ging in die Hocke und lauschte in Hüfthöhe an der Wand. »Gleich kommt es wieder … da ist es schon!«
    Im nächsten Augenblick lief ein Zittern durch den Boden. Die Männer standen breitbeinig im Stollen, stützten sich an der Wand ab und blickten instinktiv nach oben. Die Benzingaslampen, die in Abständen von fünf Metern vom Deckenbalken hingen, begannen in kleinen Kreisen zu schwingen.
    So etwas hatte Paulsen schon öfter erlebt, doch nicht mit diesen abrupten Übergängen.
    »Ein Erdbeben?«
    Grieg schüttelte den Kopf. »Ein Beben hört sich anders an.« Er legte sich jetzt flach auf den Bauch und presste das Ohr an den Boden. Eine Minute lang lag er so, ohne sich zu bewegen. Keiner der Männer wagte sich auch nur zu räuspern. Plötzlich sprang Grieg vom Boden auf. »Verflucht. Es kommt wieder! Diesmal stärker. Raus hier! Alle zum Bergeaufzug!«
    Die Männer setzten sich in Bewegung und eilten in den Gang. Schon raste ein Zittern durch den Tunnel. Die Deckenlampen kreisten heftiger und zwischen den Holzbalken rieselte der Staub herab. Diesmal grollte ein tiefes Dröhnen durch den Berg, das langsam verebbte. Karmann, Zetko und die Männer der Nachtschicht beschleunigten ihre Flucht; der fette Gnoll ließ sein Werkzeug fallen, ehe er als Letzter über die Gleisschwellen stolperte. Zurück blieben Dittrich, Paulsen und Grieg.
    Der Alte starrte zur Decke. »Um die Konstruktion brauchen wir uns vorerst keine Sorgen zu machen - die hält.« Das Beben hatte aufgehört, nur vom hölzernen Türstockbau rieselten noch kleine Staubkörner. »Wir können nur hoffen, dass der Strom für den Bergeaufzug nicht ausfällt.«
    »Meinst du, das Beben hängt mit der Wurzel zusammen?« Paulsen glaubte eigentlich selbst nicht daran.
    Nachdem sich Grieg das schüttere Haar zurückgestrichen hatte, setzte er sich den Helm auf. »Bloß ein Zufall.«
    »Leute, ich glaube nicht an Zufälle.« Dittrich leuchtete einige Schritte hinter ihnen mit der Lampe auf den Boden.
    Sie konnten die mit der Spitzhacke aufgeschlagene Stelle, aus der die schwarze Flüssigkeit gesickert war, nicht mehr finden. Sie war verschwunden, die Wurzel zeigte eine unversehrte Oberfläche.
    »Ich träume!« Dittrich zeigte auf das Gewächs. Das Lampenlicht glänzte auf der verhornten Rundung. Anhand der knorpeligen Wucherungen sahen sie, dass sich die

Weitere Kostenlose Bücher