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Der Judas-Schrein

Der Judas-Schrein

Titel: Der Judas-Schrein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gruber
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wenn sie sauer auf ihn war. All das gab ihm ein angenehmes Gefühl. In Wahrheit sehnte er sich nach seiner Frau - und in diesem Augenblick lag sie neben ihm. Ein merkwürdiges Gefühl durchströmte ihn. Am liebsten hätte er diesen Moment für immer festgehalten.
    Er wanderte mit der Hand über ihre Hüften, die Taille, den Rücken und tastete über ihre Wirbelsäule. Da spürte er, wie das Laken plötzlich feucht wurde. Jana musste unter der Decke regelrecht schwitzen, das Stofftuch war komplett durchnässt. Als das Scheinwerferlicht für einen Moment durch den Vorhang fiel, sah er den dunklen Fleck auf dem Laken. Er verbreitete sich rasch in alle Richtungen. Ihre Schulter senkte und hob sich nicht mehr. Ihre Atmung stand still!
    »Jana!«, rief er aus.
    Ihr Bein rührte sich unter dem Laken. Nein, es war nicht ihr Bein, sondern etwas anderes. Etwas befand sich unter der Decke! Deutlich sah er die Bewegung unter dem Stoff, mit der sich dieses Etwas über Janas Körper schlängelte. Er wagte sich nicht zu bewegen. Gebannt starrte er auf die Decke. Ein Zucken ging durch Janas Körper, verschlungene Bewegungen quirlten unter dem Laken, und dann spürte er die klebrige Flüssigkeit, die seine Beine erreichte.
    Mit einem Satz sprang er aus dem Bett und riss das Laken zur Seite. Er sah nichts als Schatten. Mit einem Mal erfüllte ein Zischeln den Raum. Er stolperte zur Tür und presste die Hand auf den Lichtschalter. Doch nichts - es blieb dunkel!
    Da fiel wieder Scheinwerferlicht durchs Fenster und seiner Kehle entrang sich ein erstickter Schrei. »Jana!«
    Krebsgeschwüre! Ihr Körper war über und über von lebendigen Krebsgeschwüren bedeckt. Ihr Rückgrat lag offen, aus ihrem Körper quollen Nervenstränge, die zappelnd durch den Raum schossen.
    Er riss die Augen auf und fuhr hoch. Sein Herz raste, er schlug mit den Händen um sich, bis er merkte, dass er aufrecht im Bett saß. Das Zimmer war dunkel, die Straßenbeleuchtung funktionierte noch immer nicht. Oh Gott, wann endlich würden diese Albträume aufhören? Dieser Ort würde ihn noch den Verstand kosten!
    Er tastete auf die andere Seite des Betts. Sie war leer. Sabriski hatte bestimmt ihren Rucksack gepackt und sich auf Zehenspitzen aus dem Zimmer geschlichen, nachdem er eingeschlafen war. Er atmete tief durch und ließ sich in die Kissen fallen.
    Diese Nacht wurde die bisher schlimmste für ihn. Ständig wachte er schweißgebadet auf, von Albträumen gequält, und wälzte sich so lange im Bett herum, bis er das Laken auf den Boden gestrampelt hatte. Seine Kopfschmerzen nahmen mit jeder Stunde zu, und erst in der Morgendämmerung fiel er endlich in einen erschöpften, traumlosen Schlaf.

Rückblende II
     
    Grein am Gebirge, 1937
     
    Paulsen, Grieg und die restlichen Männer von Karmanns Nachtschicht standen dicht gedrängt 350 Meter unter der Erde im Stollen des Segen-Gottes-Schachts und starrten auf die schwarze Wurzel, die sie in der Erde entdeckt hatten. Paulsen hätte lieber die Finger von Dingen gelassen, die er nicht kannte, denn als Vorarbeiter war er für die Bergmänner der Vormittagsschicht verantwortlich. Andererseits hatte sein Kumpel Dittrich Recht. Sie mussten die Wurzel so rasch als möglich entfernen, damit sie die Gleise für die Grubenhunte verlegen konnten. Oben standen die Wagons neben der Verladerampe zur Hälfte leer. Bis Mittag waren es nur noch viereinhalb Stunden; ihnen lief die Zeit davon. Ihre Schicht hatte eben begonnen und sie hätten schon längst den gebrochenen Bohrhammer auswechseln, den Kompressor anwerfen und mit den Schrämmaschinen die Steinkohle abbauen müssen. Die Gschwendtner Steinkohlenbergbau AG bezahlte ihre Arbeiter nach Leistung, und weniger Leistung bedeutete weniger Lohn. Niemand von ihnen konnte sich das erlauben. Paulsen am allerwenigsten. Oben wartete Maria mit zwei Kindern auf ihn.
    Dittrich schwang die Spitzhacke hoch und ließ sie mit einem kräftigen Hieb zu Boden sausen. Was hatte der Idiot vor? Paulsen machte einen Satz ans Ende des Stollens. Mit dem Rücken zur Wand sah er, wie die Spitzhacke in die schwarze Wurzel schlug. Ein schmatzendes Geräusch ertönte, als zerplatze eine reife Frucht. Ein Raunen ging durch die Gruppe. Grieg und Karmann wichen ebenfalls zurück.
    »Herrgott!«, keuchte Dittrich. Seine Brille beschlug. »Ihr stellt euch an wie ein Haufen Weiber. Mir ist egal, was dieses Ding ist - es muss weg!« Er riss die Spitzhacke aus der Wurzel, die über eine Länge von einem halben Meter aus

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