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Der Judas-Schrein

Der Judas-Schrein

Titel: Der Judas-Schrein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gruber
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den Kopf spukte. Die Gerüchte würden sich wie ein Lauffeuer im Ort verbreiten und die vergessenen Bergwerkslegenden aufleben lassen. Er musste ein ernstes Wort mit Dittrich reden, dass er bloß den Mund hielt, wenn sie wieder oben waren. Sonst könnten die Gerüchte dazu führen, dass die Männer die Arbeit niederlegten und die Gschwendtner Steinkohlenbergbau AG den Hauptstollen schloss.
    Zu viele Arbeitsplätze wären davon betroffen, was für Grein und Heidenhof ungeahnte Folgen haben würde. Zweihundert Kumpel bedeuteten nahezu zweihundert Familien, die von den Einnahmen des Bergwerks lebten. Der Normalbetrieb könnte frühestens in zwei bis drei Wochen wieder aufgenommen werden. Bis dahin gaben die Kompressoren und Schrämmaschinen keinen Ton von sich. Keine voll gefüllten Eisenbahnwagons würden den Ort verlassen, die Frachtkähne des Wiener Neustädter Kanals stillliegen, die Werke in Peutenstein, die Hütten und Kalköfen in Wiener Neustadt stillstehen. Düstere Aussichten! Und dann erst seine eigene Situation!
    Paulsen starrte wie hypnotisiert in die Dunkelheit des Bodenrisses. Alles nur wegen einer blöden Erdwurzel, die sich in die Erde gegraben und einen Hohlraum unter ihnen zum Einsturz gebracht hatte! Woher zum Teufel kam die Wurzel und wo steckte sie jetzt? War es überhaupt ein Gewächs? Falls nicht - was war es dann? Wie auch immer, sie hätten den merkwürdigen Fund gar nicht erst mit der Hacke aufschlagen, sondern ignorieren und die Holzschwellen mit Gleisen darüber legen sollen. Doch dafür war es jetzt zu spät. Paulsen erwachte aus seiner Erstarrung und machte kehrt. Aus einem gezimmerten Regal, das in eine Erdnische gepfercht war, nahm er einen Stapel Wolldecken und warf sich das Bündel über die Schulter. Mehr gab es aus diesem Bereich des Stollens nicht zu holen. Er marschierte zurück.
    An der Abzweigung zum Schrägstollen traf er auf Dittrich und Grieg. »Hast du etwas Brauchbares gefunden?«, riefen sie.
    Paulsen warf die Decken zu Boden, eine Staubwolke schoss in die Höhe. »Nur das hier.«
    »Der Türstockbau im Schrägstollen ist nach fünfzig Metern eingebrochen.« Grieg hatte sich die Handlampe in die Armbeuge geklemmt. Er und Dittrich trugen Kisten, die sich bis zum Kinn übereinander stapelten. Paulsen erkannte auf den Latten das Emblem des Greiner Metzgers, bei dem seine Mutter und seine Frau Maria arbeiteten.
    »Verpflegung?«
    »Die Kumpel der Vormittagsschicht haben acht Wasserflaschen, fünf Essensrationen mit Brot, Speck und geselchtem Fleisch in den Trakt gebracht«, keuchte Dittrich. »Zum Glück haben sie es nicht am Ende des Schrägstollens deponiert, sonst wäre alles verschüttet worden.«
    Die Männer stellten die Kisten nieder. Grieg nickte zum Ende des Tunnels, aus dem sie gekommen waren. »Die Wände sind feucht.« Er wischte sich über den Mund. »Ich befürchte schon seit Tagen, dass wir eine Sandsteinzone anfahren und habe immer vor einem Wassereinbruch gewarnt. Ich nehme an, jetzt ist es so weit. Möglich, dass durch das Beben eine Wasserquelle über uns aufgebrochen ist. Weiter hinten liegt eine Gestängepumpe, die von einer Dampfmaschine angetrieben wird.«
    »Fein, aber ohne Strom?«, wandte Paulsen ein.
    »Wenn die Großkopfeten oben die Lage besprochen haben, werden sie so rasch als möglich ein Luftrohr durch den Verbruch schlagen und ein zweites Rohr für die Stromversorgung. Wir sind nicht schlecht ausgerüstet und könnten damit einige Geräte betreiben, wie beispielsweise die Pumpe, falls Wasser eindringt.«
    »Und wohin willst du das Wasser leiten?«, mischte sich Dittrich ein.
    »Habt ihr denn gar keine Ideen?«, fragte Grieg. »In die Erdspalte am Ende des Hauptstollens natürlich. Dorthin würde es zwar sowieso ablaufen, aber nur, wenn die Spalte nicht verstopft oder zugeschüttet ist.«
    »Oh, nein, ich weiß, worauf du hinauswillst! Du möchtest den Spalt vergrößern. Nein, danke, ohne mich!« Dittrich lachte gekünstelt auf. »Ich gehe nicht einmal in die Nähe dieses Abgrunds. Ich weiß, was ich in dem Spalt gesehen habe. Bevor ich dort grabe, soll mich der Teufel holen!«
    »Verdammt, ich will das nicht mehr hören, du machst uns noch alle verrückt«, bellte Paulsen. »Ich war dort und habe auch reingesehen, aber nichts bemerkt.«
    »Vielleicht ist das Ding schon rausgekrochen und schleppt sich irgendwo durch den Stollen.«
    »Dann hätte ich es wohl getroffen.« Plötzlich deutete Paulsen auf Dittrichs Jacke. »An deiner

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