Der Judas-Schrein
Schulter!«
Dittrich fuhr wie vom Blitz getroffen herum und schlug sich mit der Hand auf die Jacke. Grieg gackerte vor Lachen und rieb sich die Tränen aus dem gesunden Auge. Paulsen grinste.
»Dämliche Idioten!«, fluchte Dittrich.
»Hasenfuß!«
»Wenn ich in den Bergeaufzug steigen und rauffahren könnte, würde ich euch beiden jetzt eine aufs Maul geben«, schimpfte Dittrich. »Aber ich brauche euch.«
Einen Moment lang war die Anspannung von Paulsen abgefallen, doch im nächsten Augenblick wurde er wieder ernst. »Was habt ihr noch gefunden?«
»Eine Dampfmaschine, einen Kompressor, eine Schrämmaschine, aber keinen Bohrkopf. Damit fangen wir nichts an. Allerdings haben wir jede Menge Schaufeln und Krampen entdeckt, Hämmer, Nägel, Keile und Dutzende Balken und Bretter.«
»Bretter?«, hakte Paulsen ein. »Damit sollten wir den Stollen gegen den Felsnachbruch absichern.«
Grieg nickte. »Am Besten hier, dort und dort.« Er zeigte die Schwachstellen an der Decke auf. »Beginnen wir mit der Arbeit!«
3. Teil
Die Entdeckung
Mittwoch, 10. September
17. Kapitel
Als Körner die Augen aufschlug, prasselte der Regen ans Fenster, und der Heizkörper pfiff. Im Zimmer lag eine muffige Schwüle. Körners Armbanduhr zeigte zehn Uhr vormittags. Er fuhr hoch und schlüpfte in seine Kleider. Als er mit einem Arm im Pullover steckte, bemerkte er seine verspannten Schultern und Gelenke. Der Job ruinierte ihn.
Früher, als er noch mit Sabriski zusammen gewesen war, hatte er zweimal pro Woche das Budo-Center besucht, doch nach der Trennung hatte er nur noch zu Hause trainiert, bis schließlich auch dieser Enthusiasmus verflogen war. Zurück in Wien würde er wieder regelmäßig seine Strecke durch den Wienerwald joggen und seine Einheiten am Sandsack trainieren, nahm er sich vor. Die Blöcke, Schläge und Fußtechniken würden ihn wieder in Form bringen.
Körner hastete in den Gang. Nach kurzem Anklopfen öffnete er Philipps Zimmertür. Abgestandene Luft, Tabakmief und der Geruch nach Schweiß und altem Aftershave schlug ihm entgegen. Die Jalousie war zugeklappt. Philipp wälzte sich im Bett herum. Die Haare standen ihm wirr vom Kopf, mit winzigen, verschlafenen Augen blinzelte er Körner an. Vom Gang fiel Licht auf Basedovs Bett. Das Laken spannte sich faltenlos über die Matratze, das Kissen lag aufgeschüttelt am Kopfende.
Körner knallte die Tür zu und süeg die Treppe zum Frühstücksraum hinunter. Aus der Küche roch es nach Gebäck. Er spürte, wie seine Lebensgeister erwachten. Sabriski und Berger saßen bereits Kaffee trinkend an einem Tisch, der für fünf Leute gedeckt war. Die Frauen trugen ihre Bekleidung vom Vortag. Sabriskis strahlender Augenausdruck war einem todmüden Blick gewichen, und auch bei Berger, die er bisher nur wie aus dem Ei gepellt kannte, zeichneten sich dunkle Schatten unter den Augen ab. Sie sah genauso abgespannt aus wie Sabriski.
Keine der beiden Frauen hatte Basedov zu Gesicht bekommen. Körner hatte nichts anderes erwartet. Er gab Sabriski einen Kuss und setzte sich neben sie an den Tisch. Aus dem Augenwinkel bemerkte er, wie Berger für einen Moment erstaunt aufsah.
Aus dem Radio auf der Kommode klang das Ende der 10.00-Uhr-Nachrichten. Noch immer lag ein Tief über Mitteleuropa, das ständig von neuen Kaltluftmassen gespeist wurde. Auf den Wetterbericht folgte eine Sondersendung über die Hochwassergebiete, die unter anderem über die Triertalbahn berichtete. Der Bahndamm von Heidenhof und Grein war auf einer Länge von fünfzehn Kilometern bis Viehofen unterspült, die Gleisanlage regelrecht weggerissen worden. Immer mehr Hänge rutschten auf die Schienen. Zurzeit gab es keinen Schienenersatzverkehr. In den übrigen Gebieten war die Lage nicht besser.
Philipp polterte hörbar durch das Treppenhaus und tauchte im Türrahmen auf. Wie tags zuvor war er schwarz gekleidet. Er sah aus, als habe er sich nur eben schnell das Haar nach hinten gekämmt und sein Gesicht mit kaltem Wasser besprenkelt. Waltraud Stoißer brachte ihnen Kaffee, Rühreier, hausgemachte Marmelade und aufgebackene Semmeln, da das frische Gebäck ausgegangen war. Der Kaffee schmeckte, als habe ihn die Wirtin mit Mineralwasser gekocht. Anscheinend funktionierte die Wasseraufbereitungsanlage beim Fischteich noch immer nicht. Während sie frühstückten trampelte ein behäbiger Feuerwehrmann durch die Stube und rückte die Möbelstücke von der Mauer weg. Hinter den Kommoden war der Verputz zu einem
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