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Der Judas-Schrein

Der Judas-Schrein

Titel: Der Judas-Schrein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gruber
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grauen Brei aufgequollen, von dem ein moderiger Geruch ausging. Der Mann stellte einen Heizstrahler zur Wand hin und kippte die Fenster. Von ihm erfuhren sie, dass das Unwetter von Stunde zu Stunde schlimmer wurde. Die Freiwillige Feuerwehr, mit drei Fahrzeugen und fünfunddreißig Mann rund um die Uhr im Hochwassereinsatz, bekam die Lage kaum noch in den Griff. Jene Rot-Kreuz-Sanitäter, die es gestern noch über die Brücke geschafft hatten, mussten heute Nacht im Kindergarten einquartiert werden. Doch mittlerweile stand auch dort das Wasser knöcheltief.
    Körner starrte aus dem Fenster. Draußen war die Welt in eine trübe, graue Einförmigkeit getaucht. Er hatte seit Tagen keinen Sonnenstrahl gesehen, aber irgendwann musste der Regen ja aufhören. Er dachte an Verena und seine Ex. Den Leuten in Heidenhof ging es bestimmt besser, da der Nachbarort einige Meter höher lag.
    »Alex …«
    Er fuhr herum. Sabriski schob ihm ein Aspirin über den Tisch. »Nimm das, du siehst schrecklich aus.«
    »Danke, ich bin in Ordnung«, log er und sah in die Runde. Eine Ansammlung geröteter Augen und schlaffer Gesichter. »Und ihr?«
    Berger versuchte zu lächeln. »Es geht so.« Die anderen nickten knapp.
    Sie hatten gewiss Verspannungen und höllische Kopfschmerzen. Bestimmt hatten sie so hervorragend geschlafen, wie auf der harten Liege eines rumpelnden Zugabteils. Weshalb wollten sie nicht darüber sprechen? Waren auch sie von merkwürdigen Träumen geplagt worden?
    Körner sollte den Anfang machen und darüber reden. »Um ehrlich zu sein, ich habe …« Er hob die Kaffeekanne und erstarrte in der Bewegung. Die Welt um ihn herum wurde richtiggehend ausgeblendet. Er starrte auf das ovale Tischtuch aus Baumwolle, auf dem die Kanne gestanden hatte. In die Ränder war ein Rosenmuster aus Goldfaden gestickt. An einem Eck der Stoffdecke prangten die Initialen BF. Körners Mund trocknete aus, plötzlich wurde ihm übel, er spürte den säuerlichen Geschmack des Kaffees in der Speiseröhre aufsteigen. Wie in Zeitlupe griff er nach der Platzdecke und schob sie zu Philipp. Dieser reagierte zuerst nicht, lästerte weiterhin lautstark über das Wetter, doch dann bemerkte er die Stoffdecke und verstummte mitten im Gespräch. Er warf Körner einen wissenden Blick zu.
    Körner kannte den Ausdruck in seinen Augen nur allzu gut. Wer weiß, welche Scheiße wir gerade aufgewühlt haben.
    »Was ist?« Sabriski sah den Spurensicherer verstört an. Er reichte ihr die Platzdecke.
    Berger rückte näher, um ebenfalls das Stoffstück zu betrachten. »Wir waren auf dem falschen Dampfer«, flüsterte sie. »Das sind nicht die Initialen einer Person.«
    Körner nickte. »Der Braune Fünfender«, antwortete er genauso leise. »Kein lautes Wort darüber!«
    Hinter ihnen flog die Tür auf. Waltraud Stoißer steuerte mit einem Tablett auf ihren Tisch zu. Sabriski stellte rasch ihre Kaffeetasse auf die Platzdecke.
    »Und ihr glaubt nicht, was dann passiert ist«, rief Philipp und hob die Augenbrauen. »Sagte der Kerl doch tatsächlich zu mir … oh, Nachschub.« Er wandte sich zu Stoißer, die das Tablett auf den Tisch absetzte.
    Während die Wirtin zwei Kannen mit Kaffee und Milch servierte, polterte eine Truppe Feuerwehrleute in den nebenliegenden Schankraum. Durch die offen stehende Tür sah Körner die Männer an der Theke lehnen. Die Funkgeräte an ihren Gürteln knackten.
    »Sie entschuldigen mich?« Die Wirtin lief in die Stube. »Wie schaut es aus?«, rief sie den Feuerwehrleuten zu.
    Die Männer murrten. Der Älteste unter ihnen, ein grauhaariger Feldwebel mit goldgelb bestickter Achselschlaufe, sprach laut genug, dass Körner ihn hören konnte. »Über Nacht hat es die Brücke in Heidenhof weggerissen. Ich war oben … Scheiße … die Holzbalken knickten wie Strohhalme. Um drei Uhr früh trieben die Trümmer auf die Greiner Brücke zu. Zack!« Seine Faust knallte in die Handfläche.
    »Die Brücke ist beschädigt?«
    »Beschädigt? Sie ist weg!« Der Grauhaarige wischte mit der Hand durch die Luft.
    Philipp beugte sich vor und rief in den Schankraum: »Wann kommen wir von hier weg?«
    Schlagartig verstummte das Gemurmel der Männer. Die Feuerwehrleute reckten die Hälse, sahen in den Frühstücksraum und musterten Philipp, Körner und die beiden Frauen wie Eindringlinge.
    »Im Moment kommt niemand raus«, murrte der Feldwebel. »Im Ort sind drei Einwohner abgängig. Ihr Kollege ist noch nicht aufgetaucht, oder? Scheiße, hoffendich ist der nicht

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