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Der Judas-Schrein

Der Judas-Schrein

Titel: Der Judas-Schrein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gruber
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riss.
    Vom Zelt lief der Dorfgendarm winkend zu Körners Wagen. Kaum hatte der Ermittler die Scheibe unten, sprudelte Alois Friedl los, er habe vom Landesgendarmeriekommando Wien ein Fax der Staatsanwaltschaft bekommen. Die Krajniks waren zwar auch verständigt worden, aber im Moment hatte der Gendarm keine Zeit, sich darum zu kümmern. Der alte Apfler, der Totengräber in Grein, wisse jedoch Bescheid und habe auf dem Friedhof bereits mit der Exhumierung begonnnen. Der Gendarm klopfte auf das Wagendach und lief zurück zum Zelt.
    Während Körner zum Ortsende fuhr, zogen schwarze Regenwolken über den Hohen Gschwendt. Der Friedhof, die Kapelle und die Aufbahrungshalle lagen auf einer Anhöhe am Fuß des Berges. Vom Parkplatz hatte man trotz des Wetters eine weite Aussicht über den Ort. Die Trier machte eine Biegung und schlängelte sich nicht weit vom besiedelten Gebiet entfernt an einigen Holzschuppen und Viehställen vorbei. Über den Acker hinweg wirkte der Fluss ziemlich nah, tatsächlich lag er aber bestimmt fünfhundert Meter vom Friedhof entfernt. Die Furchen und Traktorspuren auf dem Acker waren mit Regenwasser gefüllt und schimmerten im trüben Licht. Mitten auf dem Feld stand ein Traktor mit verrostetem Anhänger.
    Körner warf die Autotür ins Schloss und ging auf das schmiedeeiserne Tor des Friedhofs zu. Neben dem Areal lag der Eingang zum Bergwerk. Von hier aus sah er die Geräte, die nach dem Unglück nicht abgebaut worden waren und die Kriegsjahre überdauert hatten. Die Gleisanlage für die Wagons war von Gestrüpp überwuchert, die Räder der schrottreifen Wagons waren mit Ziegelsteinen blockiert. Körner glaubte, die in dem Artikel des Dorfanzeigers erwähnte Kesselanlage, die Dampffördermaschine und die 35 Meter hohe Esse zu erkennen; wuchtige Konstruktionen, die sich kaum von dem trüben Hintergrund abhoben. Die offenen Wellblechtüren der Werkstätten wurden vom Wind donnernd gegen die Wand geschnalzt. Seit damals hatte sich nichts verändert. Warum waren die Geräte nie abmontiert worden? Ob auch noch das Dynamit für die nie vollzogene dritte Sprengung im Depot neben dem Segen-Gottes-Schacht lagerte? Körner erinnerte sich, wie er und Wolfgang Heck als Jugendliche oft durch die Stollen gestreunt waren, auf der Suche nach den Kisten mit dem Dynamit, die sie aber nie gefunden hatten. Jede Stange musste sich mittlerweile aufgelöst haben und das gelbliche, ölige, stark giftige Nitroglyzerin durch die Holzkisten gesickert sein, sodass die geringste Erschütterung oder ein bloßer Temperaturanstieg genügten, um es zur Explosion zu bringen. Ein Wunder, dass bisher kein Unfall passiert war. Sabriski zog das Tor auf. »Da lang.«
    Körner riss sich von dem Anblick los und folgte ihr über den Schotterweg, entlang der Grabreihen. Eine eisige Kälte kroch ihm durch den Regenmantel den Rücken hinauf, als er die Steinkreuze, Grablichter und Marmorengel sah. Auf diesem Friedhof ruhten seine Eltern, doch er wusste nicht wo. Er hatte Berger versprochen, dass er das Grab besuchen würde, doch nicht jetzt, vielleicht später, wenn der Fall abgeschlossen war und ihn nichts mehr in diesem Ort hielt. Mit dieser Visite würde er seine Vergangenheitsbewältigung beenden und danach nie wieder nach Grein zurückkehren.
    Von weitem sah Körner den alten Apfler, der seit Jahrzehnten das Grab seiner Eltern pflegte. Körners Ex hatte es ihm mehrmals erzählt und erst unlängst der Bürgermeister. Der Totengräber stand mit zwei Helfern neben einem Mausoleum über ein unscheinbares Grab gebeugt. Einer der Burschen schlug die Spitzhacke ins Erdreich, während Apfler und der zweite Junge abwechselnd die Spaten in den Boden trieben. Neben ihnen hatte sich bereits ein gelbgrauer Erdhaufen gebildet. Körner erinnerte sich, dass ihm sein Freund Heck erzählt hatte, Grein sei eine lehmige Gegend. Der Boden war mit Wasser voll gesogen, sodass der Lehm feucht schimmerte. Etwas Besseres konnte ihnen gar nicht passieren. Der hohe Grundwasserspiegel und die lehmige Erde würden die Leichen so gut erhalten haben, als seien sie erst seit Wochen tot.
    »Warum haben die schon mit der Arbeit begonnen?«, raunte ihm Sabriski zu.
    Körner zuckte mit den Achseln. »Freu dich, das spart uns Zeit. Bei diesem Sauwetter können wir froh sein, wenn wir die Exhumierung so rasch als möglich hinter uns bringen.«
    Apfler und die beiden Burschen trugen Gummistiefel, blaue Overalls und Regenjacken. Sie standen bereits wadentief in dem Aushub,

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