Der Judas-Schrein
doppelte Bretterverschalung um den Beichtstuhl an, danach verschwanden sie.
Ich würde gern glauben, dass diese Barrikade ausreicht, doch ich wage es nicht zu hoffen. Seit heute Abend ist dem Gezücht der Weg nach oben versperrt, doch könnte es sich unter dem Dorf ins Erdreich ausbreiten, sofern es nicht zuvor verkümmert und abstirbt. Bestimmt werden auch andere auf diese Idee kommen, und so bin ich mir sicher, dass es mit diesem Angriff nicht vorüber ist, sondern erst begonnen hat. Es gibt noch so vieles, das die Dorfbewohner herausfinden müssen. Letztendlich kann der Ort nur dann zur Ruhe kommen, wenn sie das Gewölbe mit der Maschine entdecken, den Mechanismus zerstören, Hutzingers Buch verbrennen und mit dem Tod von Pater Dorn alles zu einem endgültigen Ende bringen. Die Zerstörung des Judas-Schreins war gewiss nur der Anfang. Für den Moment ist das Gezücht darin gefangen und der Schrein verbarrikadiert. Wenigstens das ist gelungen, und ich bin froh, keinen Blick mehr in den Beichtstuhl werfen zu müssen. Die schreckliche Erinnerung an das Fallgitter, die Bank mit den Seilen, Flaschenzügen und blutverschmierten Lederfesseln sitzt zu tief.
Körner klappte das Buch zu. Die Bank mit den Seilen, Flaschenzügen und blutverschmierten Lederfesseln! Verdammt, was hatte er da gerade gelesen? Das war eine exakte Beschreibung jener Eisenkonstruktion, die am Tatort von Sabine Krajnik stand! Die Tagebucheintragung war genauso verrückt wie der Fall, in dem sie ermittelten. Womöglich passten die Ereignisse gerade deshalb zusammen. Er musste sich unbedingt das Gerät in der Gaslight Bar näher ansehen. Das Ding war zwar keine hundertvierzig Jahre alt, aber gewiss eine exakte Nachbildungjener Konstruktion, welche Pater Dorn im Beichtstuhl versteckt hatte. Sein nächster Weg führte zwangsweise in die Kirche, wo er das verdammte Laken vom Beichtstuhl reißen würde, das Sabriski ihm beschrieben hatte. Doch zunächst in die Bar! Das vermaledeite Gerät, dessen Zweck ihm bisher noch nicht klar geworden war, stellte die Verbindung zwischen den aktuellen Geschehnissen und den Ereignissen von 1864 dar. Irgendwie passte alles zusammen, und Martin Goisser hatte gewusst, auf welche Weise.
Er lief zu seinem Wagen. In diesem Moment marschierte Philipp aus der Aufbahrungshalle, bog das Kreuz durch und streckte die Arme von sich. »Alex, wo warst du? Wir müssen unbedingt…«
»Später!«, keuchte Körner. Er sprang hinter das Lenkrad des Audis und wendete den Wagen auf dem Parkplatz. Schotter und Wasser spritzten gegen das Bodenblech, und Sekunden später raste Körner bereits auf der Straße zum Hauptplatz. Im Rückspiegel sah er, wie ihm Philipp verdutzt hinterherstarrte.
Als nach der Kurve die Zelte und die provisorische Holzhütte für den Hochwasser-Krisenstab auftauchten, bremste Körner den Wägen ab. Im Schritttempo kurvte er zwischen den Löschfahrzeugen, Pritschenautos und den herumeilenden Menschen hindurch über den Hauptplatz. Aus der Gulaschkanone dampfte es noch immer und auf den Heurigenbänken unter dem Zelt stapelten sich leere Mineralwasserkisten. Es glich den Vorbereitungen zu einem Volksfest, das wegen Schlechtwetters hatte abgesagt werden müssen. Dutzende Männer und Frauen hielten in ihrer Tätigkeit inne und belauerten ihn wie eine Meute Wölfe. Er würde sie nicht wissen lassen, wie weit er mit seinen Ermittlungen war. Ohne den Fuß vom Gaspedal zu nehmen fuhr er an der Gaslight Bar vorbei. Die gelben Absperrungsbänder flatterten im Wind.
Körner parkte den Wagen vor dem Hintereingang der Diskothek. Er stieß die Tür auf und ging an den Toiletten vorbei. Wie in jedem Fall gab es immer wieder Hinweise, die ihn an den Tatort zurückführten. Bestimmt würde es nicht das letzte Mal sein, dass er die Bar betrat. Er fragte sich, ob Basedov die Diskothek aus dem gleichen Grund wie er aufgesucht hatte. Er würde es rausfinden!
In dem Raum roch es nicht länger nach Eisen und Schwefel. Ein penetranter Geruch von Putz- und Scheuermitteln lag in der Luft. Sicherlich hatte Waltraud Stoißer den gesamten Boden gebohnert und nicht bloß die Tanzfläche, wo der Mord passiert war. Ihm kamen leise Zweifel, ob es nicht ein Fehler gewesen war, die Wirtin in die Bar zu lassen. Philipp hätte es ihr nicht erlauben dürfen; womöglich hatte er einige Spuren übersehen. Doch nun war es zu spät.
Körner marschierte an der Theke vorbei. Durch die Fenster fiel mattes Licht. Neben der Tanzfläche thronte die
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