Der Judas-Schrein
aushalten.
Hinter ihm schwappte das Wasser an die Mauer. Vorsichtig tastete er sich voran und trat in die Mitte des Kellers. Er hielt die Glock mit beiden Händen knapp über der Wasseroberfläche umklammert. Mittlerweile erkannte er die Umrisse des Gewölbes. Weinflaschen stapelten sich in den Regalen. Einige Etiketten hatten sich gelöst und trieben auf der Wasseroberfläche.
Das Wasser war so kalt, dass sich Körners Kiefer bereits verkrampfte, da er seit Minuten das Zähneklappern zu unterdrücken versuchte. Seine Finger waren klamm. Unbeholfen hielt er die Pistole vor sich, das Zittern seiner Hände wurde immer heftiger. In diesem Zustand hätte er nicht einmal halbwegs ordentlich zielen können.
Was immer passieren würde, er durfte auf keinen Fall versuchen, die Pistole unter Wasser abzufeuern. Er hatte weder die dazu notwendige wasserdichte Munition geladen, noch war die Glock mit maritimen Federtellern ausgerüstet. Bei einem Unterwasserschuss würde sich die Pistole buchstäblich aufblähen und explodieren.
In diesem engen Keller würde ihm der Druck garantiert den Brustkorb zerquetschen.
Eine lädierte Holzkiste schwamm an ihm vorbei auf die Treppe zu. Er sah ihr nach, wodurch er den neonfarbenen Schimmer neben dem oberen Treppenansatz in den Blick bekam. Das grüne Licht wurde direkt an die Kellerdecke geworfen, wo es sich in einem Betonbalken spiegelte. Es leuchtete nicht von oben in den Keller, sondern es strahlte im Keller. Körner ging rasch auf den Schrank zu, der unter den Holzstufen an der Wand stand. Er griff auf die Oberkante der Stellage, suchte nach dem Ursprung des neonfarbenen Scheins, bis er einen Gegenstand ertastete. Ein Handy! War es zwischen die Stufen auf den Schrank gepurzelt?
Das Display leuchtete erbsengrün in der Dunkelheit. Anruf in Abwesenheit, 16.11 Uhr. Es war die Nachricht seines eigenen Anrufs, empfangen vor wenigen Minuten. Irgendjemand hatte das Stativ und das Handy des Fotografen hier unten verschwinden lassen.
»Ba-se-dov!« Körners Stimme zitterte vor Kälte. Er wollte rufen, doch brachte er nur ein leises, abgehacktes Krächzen hervor.
»Ba-se-do…« Da entfuhr ihm ein kehliger Schrei. Als sei sein Rufen erhört worden, trieb ein menschlicher Körper aus einer Nische hinter der Treppe auf ihn zu. Körner machte einen Satz zurück, schlug sich den Kopf am Treppenbalken und panschte das Wasser auf. Der Tote schwankte auf den Wellen auf und ab. Sein Gesicht schimmerte durch die schwarze Brühe, Nase und Mund mit Wasser gefüllt. Weiße, steife Finger tauchten vor Körner auf, die zur Hälfte aus der Kloake ragten.
Ihn schwindelte. Er legte die Glock auf die Stellage und watete auf die Leiche zu. Er drehte ihren Kopf. Im Neonschein, der durch die Kellerluke fiel, sah er Basedovs verzerrtes Gesicht, die Augen aufgerissen und den Mund zum Schrei geöffnet. Die Haare klebten ihm im Gesicht, und die Haut war so bleich und aufgequollen wie der Bauch eines Fischkadavers.
»Oh, Gott, oh, Gott, nein!«, wisperte Körner. Er zog Basedov zur Treppe, packte ihn an der Schulter und in den Kniekehlen und taumelte mit ihm die Treppe hinauf.
»Scheiße, nein, verdammt!« Körner schleuderte das Stativ mit dem Fuß zur Seite und hob den Leichnam aus der Brühe. Das Wasser lief an Basedov herab. Sein Bauch und Brustkorb waren aufgerissen, Wunden, so tief, dass sie unmöglich von einem Messer stammen konnten. Haut, Knochen, Fleisch und Stoffreste waren zu einem Brei vermengt. Oh, Scheiße! Wäre er gestern Abend doch nur eine Minute früher gekommen! Er hätte sofort zur Bar laufen sollen, unmittelbar nachdem Basedov ihn angerufen hatte. Seine Gedanken überschlugen sich. Aber das hatte er ja auch getan! Wie hatte der Mörder das Handy, das Stativ und Basedovs Leiche so rasch in der Kellerluke verschwinden lassen können? Der Bürgermeister! Natürlich. Er hatte Körner in der Nacht auf dem Dorfplatz aufgehalten und ihn daran gehindert, rechtzeitig in die Diskothek zu stürzen. Er musste Teil dieser Verschwörung sein!
Körner schleppte Basedov über die morschen Stufen aus dem Keller. Er trug ihn um den Schanktisch herum, wo Basedovs Beine gegen die Theke schlugen, sodass er einen Schuh verlor. Körners Kleider wogen schwer, seine Hände zitterten heftiger denn je, doch das spürte er kaum. Sein Blick war an Basedovs Wunde festgefroren. Der Bauch des Ermittlers war genauso zerfetzt wie der Rumpf des Hundes, den Sabriski gestern Nacht im Rinnstein entdeckt hatte. Mit welchem
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