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Der Judas-Schrein

Der Judas-Schrein

Titel: Der Judas-Schrein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gruber
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dem sich sieben Mietwohnungen befanden. Die Errichtung des dreistöckigen Gebäudes lag beinahe vierzig Jahre zurück - eine der ersten Maßnahmen des damals neu ins Amt gewählten Bürgermeisters Weißmann. Bis heute war in das Haus keine Gasheizung eingeleitet, sodass die Bewohner mit Holzöfen heizen mussten, was sich aber in einer Katastrophenzeit wie dieser als vorteilhaft erwies.
    An den Wohnblock grenzten einige Autoabstellplätze, doch Körner parkte seinen Audi nicht zwischen den anderen Wagen, sondern versteckte ihn in der leeren Scheune hinter dem Haus. Für alle Fälle ließ er den Schlüssel im Zündschloss stecken; er konnte nicht wissen, wie rasch sie vielleicht auch aus Heidenhof fliehen mussten. Anschließend lief er mit Sabriski um die Wohnanlage. Die Eingangstür stand offen. Über der Gegensprechanlage hing ein in Folie geklebter Zettel: Nicht schließen! Natürlich war auch in Heidenhof der Strom ausgefallen, sodass der Türsummer nicht funktionierte.
    Im Kellerabgang schwappte das Wasser bis zur obersten Stufe. Körner und Sabriski stiegen in den ersten Stock zur Türnummer fünf hoch. Ein borstiger Willkommen -Schuhabstreifer empfing sie. Über dem Guckloch hing ein Kranz aus Strohblumen, neben der Klingel ein Schild mit Goldprägung: Maria Schabinger. Mangels Strom funktionierte die Glocke nicht.
    »Hier wohnt meine Ex.« Körner pochte an die Tür, doch niemand reagierte.
    »Du steckst voller Überraschungen«, presste Sabriski hervor. Ihre Zähne klapperten, die Hände zitterten, obwohl sie die Finger zur Faust geballt hatte. Körner wusste nicht, ob es wegen des Schocks oder der Kälte war.
    Er zog einen Schlüsselbund aus der Hosentasche, an dem sich ein Stück Draht befand. Er bog das Eisenteil zu zwei gleich langen Stiften, die er in das Schlüsselloch an der Schablone vorbeiführte. Wie oft hatte er Maria gesagt, sie solle endlich dieses vorsintflutliche Schloss auswechseln! Beim dritten Versuch verschob sich der Riegel.
    In der Wohnung war niemand, nicht einmal Verena. Körner hoffte, dass sie sich bei ihrer Mutter in Sicherheit befand. Die Zimmer wirkten wie ausgestorben: Licht und Telefon funktionierten nicht, die Displays von Radio, Videorekorder und Mikrowellenherd waren nichts weiter als leblose, graue Flächen. In der Küche stapelten sich kistenweise Mineralwasserflaschen, im Wohnzimmer und den Schlafräumen standen Dutzende Kerzenstummel, überall lagen Decken. Maria hatte die undichten Fensterbänke mit alten Lumpen abgedämmt. Doch es nutzte nichts, das Holz faulte bereits und die Mauer war mit Wasser so voll gesogen, dass sich der Verputz von der Wand schälte. An manchen Stellen tropfte es durch die Decke.
    Sabriski stand im Vorraum, die Hände um den Oberkörper geschlungen. »Was tun wir hier?«
    »Wir warten auf Maria. Vielleicht kennt sie einen Weg aus dem Ort. Wir brauchen Verstärkung. Wir können den Fall nicht mehr allein zu Ende bringen.« Er führte Sabriski ins Wohnzimmer, wo er sie in eine Decke gehüllt auf die Couch bettete. In der Wohnung war es bitterkalt. Im Strohkorb neben dem Ofen lagen nur noch Holzspäne, die nicht einmal zum Entfachen eines Feuers gereicht hätten. Im Arzneischrank fand Körner ein Beruhigungsmittel, welches er Sabriski verabreichte. Minuten später schlief sie ein.
    Körner saß beim Schein einiger Kerzen, die er in der Küche entzündet hatte, und hörte Sabriski aus dem Wohnzimmer ruhig und tief atmen. Im Spiegel der Vorzimmerkommode sah er die
    Couch, auf der sich die Zudecke langsam hob und senkte. Er würde warten, bis Sabriski ausgeruht war, und in der Zwischenzeit über alles nachdenken. Gedankenverloren blickte er durchs Küchenfenster zur Scheune, in der sein Audi stand. Unter dem grauen Himmel peitschte der Wind den Regen ans Fenster. Noch war sein Wagen nicht entdeckt worden, im Moment hatten die Bauern andere Sorgen.
    Er knipste die Stabtaschenlampe an, welche er unter dem Spülbecken im Bad entdeckt hatte. Der spärliche Lichtstrahl fiel auf die Mappe mit den wenigen verbliebenen Unterlagen des Falls: die Zeichnung der Reporterin, einige Tatortfotos, Philipps Skizzen und das Tagebuch des Messdieners. Der Rest war vom Sturm über den Greiner Dorfplatz in alle Richtungen geweht worden. Wie sollte Körner den Fall jetzt noch beenden? Die meisten Fakten waren nur noch in seinem Kopf, darüber hinaus hatte er Basedov und Berger verloren, und Philipp lag mit zerschmettertem Schädel vor der Gaslight Bar. Bestimmt hatten sie

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