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Der Judas-Schrein

Der Judas-Schrein

Titel: Der Judas-Schrein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gruber
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und auf die Teile der Lautlosen Maschine werfen. Der Haupttunnel führte jedoch nach einer Biegung weiter in die Tiefe.
    Vereinzelt befanden sich Nischen in den Wänden, als hätte Pater Dorn jene Vertiefungen mit dem Spaten in das Erdreich geschlagen. In den Aushöhlungen standen
    Kerzenstummel. Ich entzündete einige davon mit der Öllampe. Augenblicklich wurde es heller. Da hörte ich ein Zischeln am Ende des Gangs. Aus dem Augenwinkel sah ich etwas über den Boden nach hinten davonhuschen. Ein flüchtiger Gedanke schoss mir durch den Kopf. Fürchtete das Gezücht etwa das Feuer? Bestimmt, denn nicht umsonst verbarg es sich im dunklen, feuchten Erdreich. Rasch brachte ich alle Kerzen im Tunnel zum Brennen. Schon bald wurde das Zischeln am Gangende lauter, bis es sich in grässlich schrille Tierlaute verwandelte. Ich ging einige Schritte darauf zu, doch weiter traute ich mich nicht. Ein ekelhafter Schwefelgestank schlug mir entgegen. Milchiger Dunst schlängelte sich vor mir über den Boden. In der Dämmerung machte ich eine Bewegung aus, schattenhaft, wellenartig, als krümme sich der Raum vor mir. Mir fiel es schwer, die Gestalt zu betrachten, da sie sich ständig verformte. Ich sah Gliedmaßen, die sich extrem verlängerten, wie lebende Wurzeln ihre Gestalt veränderten, aus der Dunkelheit schnellten und sich wieder blitzschnell zurückzogen. Wie in einem Trog voll mit Gewürm brodelte es, Fangarme schlugen herum, schnalzten gegen Wand und Decke. Der Anblick verursachte mir Kopfschmerzen, meine Augenlider flatterten, Blut lief mir aus der Nase. Plötzlich dehnte sich der gesamte Raum vor mir, ein Arm schnellte auf mich zu und schnitt meine Wange.
    Schreiend lief ich den Tunnel zurück. Ich stolperte über den Erdweg, schlug mir die Schulter an der Wand, ließ Stock und Öllampe fallen und rannte keuchend bis zu jener Stelle, wo ein Lichtschein von der Decke fiel. Ich hörte etwas hinter mir durch den Gang jagen, spinnenhaft über die Decke und Wände eilen. Ich richtete mich auf und sprang den Schacht empor. Mit den Fingern umfasste ich die Wurzelstränge, zog mich daran hoch, bis ich die Lederfesseln der Holzleiste zu packen bekam. Während ich mich in den Beichtstuhl hievte brodelte es unter mir. Mit rasendem Herzen rollte ich aus der Kammer und schlug die Tür hinter mir zu. Nur einmal warf sich etwas von innen gegen die Wand … dann wurde es ruhig. Nie wieder werde ich einen Blick in den Beichtstuhl wagen! Welche Hölle hatte Pater Dorn bloß in unsere Welt geholt? Keuchend, mit dem Rücken an die Tür gelehnt, begann ich zu beten.
     
    26.März: Mein Besuch im Beichtstuhl ist Pater Dornbestimmt nicht verborgen geblieben. Gewiss hat er dasaufgehobene Fallgitter, die Öllampe und die niedergebrannten Kerzenstummel im Tunnel bemerkt. Trotzdemhat er kein Wort darüber verloren. Im Gegenteil: Erbenimmt sich, als sei nichts geschehen. Ist ihm bewusstgeworden, was er angerichtet hat, oder hat er lediglicherkannt, dass er sich vorsehen muss?
     
    27.März: Pater Dorn hat sich verändert. Bis zur Geburt desGezüchts hat er mich in seine Pläne eingeweiht, dochneuerdings versagt er mir sein Vertrauen. Er verhält sichwie früher, das normale Kirchenleben kehrt wieder ein.Sogar die Messen beginnen wieder. Diesen Sonntag kamenimmerhin drei Gläubige aus Haidenhof. Doch ich weiß, esist alles nur Maskerade und Täuschung. Immer öfter blutetPater Dorn aus einer Wunde im Rücken. Er beginnt zuhinken, seine Arme und Beine zucken. Das Gezücht nährtsich von ihm, bohrt ihm seinen Stachel ins Rückgrat.Heute Vormittag überraschte ich Pater Dorn, als er in derSakristei aus einem schwarzen Exkrement viereckigeHosden formte, die er aß. Er habe Schmerzen, wie er mirerklärte, und diese Medizin lindere sie.
    Während der Heiligen Messe sah ich, wie er die Hostien unter den Betenden verteilte. Ich bin mir sicher, das Gezücht labt sich nicht nur am Pater, sondern mittlerweile auch an den Menschen im Ort.
     
    3. April: Diesmal erschienen acht Gläubige zur Messe, doch bezweifle ich, dass sie an Gott glauben. Es waren hauptsächlich Frauen und Kinder.
    Willig nahmen sie die schwarze, viereckige Hostie zu sich.
    Sie sind Pater Dorn verfallen. Ich weiß, dass er sie verändert. Sie könnten aus Grain fliehen, aber sie tun es nicht. Etwas hält sie im Dorf fest. Mir fällt auf, dass niemand den unheiligen Ort verlässt, wie Süchtige bleiben sie hier.
     
    Körners Herz raste.
    Wie Süchtige bleiben sie hier! Woher kannte er

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