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Der Judas-Schrein

Der Judas-Schrein

Titel: Der Judas-Schrein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gruber
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Körner und Philipp folgten ihr. Die feuchte Luft, der Wind und die Kälte taten Körner gut. Er rannte, füllte die Lungen mit Sauerstoff, spannte die Muskeln an, was ihn an seinen letzten Dauerlauf durch den Wienerwald erinnerte. Er wollte rennen, immer weiterlaufen und alle Schrecken hinter sich lassen. Das aufflammende Fernlicht des Feuerwehrwagens irritierte ihn. Zwei grellgelbe Scheinwerfer brachten den Nebel zum Leuchten. Wartend stand der rote Wagen in der Seitengasse. Als sie am mächtigen Dorfbrunnen vorbeiliefen, sprang der Motor des Löschwagens an, das Monstrum rollte auf sie zu.
    Sabriski erstarrte beim Anblick des Stahlkolosses, der an Tempo gewann. Körner packte sie. »Weiter!« Er spürte das Pflaster unter seinen Sohlen vibrieren, hörte Motorbrüllen und roch Dieselatem. Die Scheinwerferaugen schossen heran, geblendet wandte er den Kopf ab.
    Philipp schrie.
    Körner sah, wie die Stoßstange des Löschautos Philipp erfasste und gegen den Holzpfosten der Gaslight Bar schleuderte. Dann war einen Atemstoß lang die schwarze Masse des vorbeidonnernden Wagens zwischen den beiden Männern. Als die Sicht auf Philipp wieder frei war, verkrampfte Körner. Er hörte Sabriski leise aufstöhnen.
    Philipp lag zusammengebrochen auf den Bohlen. Körner wollte ihn aufrichten, doch Philipps Kopf sackte haltlos zur Seite. Mit gebrochenem Genick und ausdruckslosen Augen starrte er auf die Holzdecke des Vordaches. Körner versuchte, an der Halsschlagader des Ermittlers einen Puls zu ertasten. Kopfschüttelnd sah er auf. Sabriski stand neben ihm. Sie hatte die Unterlagen fallen lassen. Die Papierbogen aus den Ordnern tanzten wie welkes
    Laub im Wind über den Platz. Dieselabgase wurden wieder an Körners Nase getragen.
    Das Löschauto hatte gewendet. Es warf das grelle kalte Licht seiner Scheinwerfer nach ihnen aus, während es mit wachsendem Tempo auf sie zuraste. Körner hob den Arm über die Augen. Doch die Front des heranröhrenden Dieselmonstrums war nur eine schwarze Kontur im Gegenlicht der Scheinwerfer. Unmöglich zu erkennen, wer hinter dem Steuer saß.
    Körner packte Sabriski am Handgelenk, trat die Tür zur Diskothek auf und stürzte in den Vorraum. Hinter ihnen krachte der Löschwagen in das Giebeldach. Holzbalken barsten, Glas splitterte. Für einen Sekundenbruchteil erweckte das Fernlicht die Tanzfläche und das Eisengestell an der Wand zum Leben. Getriebeknirschen ertönte, als der Fahrer den Rückwärtsgang einlegte. Dann heulte der Motor wieder auf, die riesigen Reifen drehten durch, der Löschwagen erbebte. Ohne sich umzusehen liefen Körner und Sabriski durch den Korridor, an den Toiletten vorbei zum Hinterausgang. Er stieß mit der Schulter die Tür auf und sank im Schlamm einer völlig durchnässten Wiese ein. Sein Audi stand noch immer da, wo er ihn gestern Nachmittag geparkt hatte.
    Eilig klemmte sich Körner hinter das Lenkrad und stieß für Sabriski die Beifahrertür auf. Als er den Schlüssel ins Zündschloss rammte, hörte er von der anderen Gebäudeseite das lauter werdende Dröhnen des Feuerwehrwagens.
    »Anschnallen!«
    Aus dem Augenwinkel sah Körner wie Sabriski fahrig nach dem Sicherheitsgurt fingerte. Er startete den Audi und lenkte ihn mit durchdrehenden Reifen über die Wiese auf die Straße Richtung Heidenhof. Sabriski brach in Tränen aus. Im Rückspiegel sah er, wie der Feuerwehrwagen stoppte, mehrere Leute ausstiegen und nach ihren Funkgeräten griffen.
     
    24. Kapitel
     
    Heidenhof mit seinen zahlreichen Ackern hatte zwar eine größere Ausdehnung als Grein, war aber trotzdem nur eine Zweihundert-Seelen-Gemeinde mit Bauernhöfen, Viehställen, Lagerhallen, heruntergekommenen Gaststätten und einigen wenigen Wohnhäusern.
    Diesen Herbst bot Heidenhof einen Anblick der Verzweiflung. Der Regen hatte einen Großteil der Ernte vernichtet. Seit Tagen standen die Tiere in den Ställen im Wasser. Jene Kühe von den überfluteten Bauernhöfen, die nicht evakuiert werden konnten, mussten geschlachtet werden. Die Mistlagerplätze und Senkgruben waren überschwemmt, der Regen hatte die Oberschichten der Altlasten abgetragen, wodurch die Straßen immer mehr vermurten. Die Chemikalien im feucht gewordenen Kunstdünger setzten eine penetrant nach Ammoniak stinkende Gaswolke frei. Ausgemergelte Bauern mit erschöpften Gesichtern und Tüchern über Mund und Nase schafften die Säcke von den Paletten ins Trockene. Neben einem dieser Bauernhöfe stand der einzige Gemeindebau von Heidenhof, in

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