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Der Judas-Schrein

Der Judas-Schrein

Titel: Der Judas-Schrein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gruber
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fünf Stunden lang brutale Kopfschmerzen, du glaubst, es sprengt dir den Schädel.« Sabriski massierte sich die Schläfen. »Als Gegenleistung spritzt es dir ein halluzinogenes Serum in den Körper, eine Kochsalzlösung mit einer schwefelhaltigen Aminosäure, ähnlich wie Fluimucil.«
    »Der Schwefelgestank!«, erinnerte sich Körner. »Woher weißt du das alles?«
    »Ich bin Ärztin.«
    »Blödsinn! Weber hat mit dir gesprochen!«
    »Vielleicht!« Unbeirrt fuhr sie fort: »Der Prozess ist faszinierend, er fördert die Bildung einer hochdosierten Glutaminsäure. Das ist Gehirnnahrung für das Zentralnervensystem.« Sie tippte sich an die Stirn. »In Wahrheit ist das Serum aber noch um vieles komplexer, als du je verstehen würdest. Es ist einmalig, es ruft phantastische Visionen von Städten und Landschaften unter der Erde hervor, aus jenen Bereichen, wo das Wesen haust.« Sie streckte die Hand nach ihm aus. »Willst du sie nicht sehen?«
    Körner wich einen Schritt zurück. »Ich kenne diese Visionen. Es sind kranke Städte und verrückte Landschaften. Genauso krank und verrückt wie die Dorfbewohner. Diese Mörder! Was haben sie aus dir gemacht?«
    Sabriski lächelte. Im schwächer werdenden Schein der Lampe machten die Schatten aus ihrem Gesicht eine Fratze. »Sie sind keine Mörder. Sie hatten keine Alternative, sie wurden auserwählt. In Grein hat es schon einmal begonnen: 1864. Doch hörte es wieder auf. Die Bevölkerung war noch nicht reif für dieses Geschenk, verstand es nicht, die Leute fürchteten sich davor. Niemand weiß, warum es vor fast siebzig Jahren von neuem begann, intensiver, umfassender, gewaltiger - und diesmal war das Wesen unaufhaltsam. Es holte sich die Energie, die es brauchte und wuchs zu einem enormen Ausmaß.«
    »Wie kann es einmal in Grein, dann wieder in Heidenhof zuschlagen?«
    Sabriski sah Körner mitleidig an. »Alex, es taucht nicht einmal da und dann wieder dort auf. Es wandert nicht, es existiert überall gleichzeitig! Es grub sich tief ins Erdreich, wo es sich ausdehnte und wie ein gigantischer Parasit verzweigte. Es ist überall unter uns. Wir alle sehen es als göttliche Fügung.«
    »Wir alle …«, spottete Körner. »Jana, nur eine Hand voll Leute ist dafür verantwortlich! Weißmann gab zu, dass der Mord an der jüngsten Krajniktochter im Morgengrauen in der Bar bloß unter dem Beisein einiger Ortsbewohner vollzogen wurde.«
    Sabriski schüttelte den Kopf. »Seit den späten dreißiger Jahren haben die Fangarme des Wesens ihren Weg in alle Häuser gefunden, mit Tentakeln und Stacheln, wie ein gigantischer Seeigel.«
    »Es können nicht alle Bewohner darin verstrickt sein, es muss noch andere geben, die …«
    »Seit gestern kenne ich die Wahrheit. Es gibt keine anderen, Alex. Es sind einfach alle! Nicht nur Grein, auch Heidenhof ist Teil dieser Welt. Die Einpflanzung wird am vierzehnten Geburtstag vollzogen. Mehrere hundert Menschen hängen über Bänke und Sitzecken an dem Wesen … sie alle sind Teil davon.«
    Körner hörte ein Rascheln hinter seinem Rücken, doch war er von Sabriskis Worten zu schockiert, um den Blick von ihr zu nehmen. »Du stehst hinter einer Mörderbande!«
    »Alex, versuch, die andere Seite zu sehen. Die Dorfbewohner löschen Leben aus, um ein Geheimnis zu hüten - um ein noch größeres Leben zu bewahren. Es sind selbstlose Taten, die Menschen töten nicht für sich selbst, sondern für ein mächtiges Geschöpf. Sie sind ihm loyal ergeben, es ist eine unfassbar große Dankbarkeit, die auch ich kennen lernte. Sie glauben an das Wesen, es offenbart ihnen eine neue Sichtweise der Dinge. Deine Eltern und deine Exfrau kannten diese Wahrheit. Alex, das ist deine letzte Chance. Lerne auch du diese Seite kennen!«
    Die Taschenlampe flackerte, danach setzte ihr Strahl für einen Moment aus. Wieder hörte Körner das Rascheln hinter seinem Rücken.
    »Auf diese Perspektive kann ich gern verzichten.« Körner dachte an die toten Kinder und den wahnsinnig gewordenen Dorfpfarrer aus dem Tagebuch.
    Körner schüttelte die ersterbende Taschenlampe. Er hörte die Batterien im Lampengriff klappern, aber sie waren endgültig aufgebraucht. Vollkommene Schwärze umgab ihn. Er ließ das nutzlos gewordene Gerät fallen.
    »Ich freue mich für dich, Alex«, hörte er Sabriskis Summe aus der Dunkelheit.
    Als habe sie ein Kommando gesprochen, begann sich der Boden hinter Körner zu bewegen. Er wollte einen Schritt zur Seite machen, als er Sabriskis Hand auf seinem

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