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Der Judas-Schrein

Der Judas-Schrein

Titel: Der Judas-Schrein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gruber
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nichts mit jener gemeinsam, mit der er gestern Vormittag aus dem Ort fliehen wollte. Er musste sie hier lassen, denn allein konnte er sie unmöglich aus diesem Gewölbe schaffen. Körner betrachtete ihr fahles Gesicht. Diesmal hatte ihr der Talisman kein Glück gebracht. Er legte sich das Lederband um den Hals, die Kugel baumelte vor seiner Brust. Es war das Einzige, das er als Erinnerung an Sabriski mitnehmen konnte. Körner ließ die nutzlose Stabtaschenlampe und das Tagebuch des Messdieners zurück. Mit dem Funkgerät in der Manteltasche und dem Zippo in der Hand ging er in jene Richtung, aus der Sabriski gekommen war. Er musste den Weg zum Dorfbrunnen finden.
    Die Flamme vor dem Luftzug abschirmend, schritt er unter dem Torbogen hindurch in die Nische. Ein schmaler Gang folgte, dessen Perspektiven merkwürdig verschoben waren, als krümme sich der Raum. Mittlerweile war es ein vertrautes Gefühl für Körner geworden, doch glaubte er nicht mehr an eine Halluzination auf Grund des Wassermangels. Das Getier wollte ihn verrückt machen, es spielte mit seiner Wahrnehmung. Körner meinte zu taumeln, wankte durch den Korridor, hörte, wie ihn die unendlich langen Fangarme verfolgten. Etwas kroch vor seinen Füßen, krümmte sich geräuschvoll an der Decke und schob sich über die Wände. Er wagte nicht, nach oben zu blicken, aus Furcht, etwas Fremdes könnte ihm ins Gesicht fahren.
    Die Zippoflamme flackerte vor seinen Augen. Der Benzingeruch schwächte den Schwefelgestank ab. Ein einziger Gedanke beherrschte ihn: Wie lange würde das Zippo brennen? Körner eilte dem Ende des Gangs entgegen, wo der Weg plötzlich in zwei kreisrunde Offnungen mündete. Durch welche war Sabriski in das Gewölbe gekommen? Hinter seinem Rücken zischelte es. Ohne lange zu überlegen entschied sich Körner für die linke Abzweigung, stieg in das Loch und gelangte in einen Tunnel, der viel größer als jener war, den er zuvor durchkrochen hatte. Es roch nach feuchter Erde und moderigem Holz. Weit und breit war auch hier kein Lichtschimmer zu sehen. Doch falls es sich um jenen Gang handelte, durch den der Messdiener vor über hundert Jahren mit Pater Dorn gelaufen war, würde ihn dieser Weg direkt unter den Dorfplatz zum Marmorbrunnen führen. Falls nicht - würde Körner hier unten festhocken und darauf warten müssen, bis der letzte Tropfen Feuerzeugbenzin verbraucht war.
    Während Körner mit eingezogenem Kopf durch den Tunnel lief, hielt er in der Wand nach Vertiefungen Ausschau, in denen sich womöglich Fackeln oder Kerzenstummel befanden, doch war nichts weiter als abgebröckeltes Erdreich, Moos, Flechten und dichtes Wurzelwerk zu erkennen. Keine Spur von brennbarem Material. Im Gegenteil - der Gang erschien von Meter zu Meter düsterer und wirkte zunehmend organisch. Die Schachtwände begannen feucht zu glänzen, das Licht glitzerte auf der schimmernden Oberfläche Dutzender Ranken und Knollen. Der Anblick schmerzte Körner, sein Schädel drohte zu zerspringen. Er musste immer öfter die Augen schließen, da sie ein Druck aus den Höhlen zu pressen schien. Seine Lider zuckten, Tränen liefen ihm über die Wangen. Aus den Augenwinkeln glaubte er winzige Mäuler und Dornen zu erkennen, die aus dem Wurzelwerk ragten und sich bewegen. Seine Sinne spielten verrückt, das war alles! Trotzdem wagte er nicht, den Kopf zu wenden, sondern blickte geradeaus, in die Flamme des Feuerzeugs, der er verbissen folgte. Doch schon bald war ihm auch dieser Anblick unerträglich, da er aus den Augenwinkeln sah, wie sich die Wände verschoben und sich in den Offnungen allerhand wandte und krümmte.
    Er stolperte den Gang entlang, bis er mit der Hand gegen eine Erdwand stieß. Sackgasse! Hatte er die falsche Abzweigung gewählt? Weder eine Leiter noch in die Wand eingelassene Steighaken waren zu sehen. Hinter ihm brodelte es in der Dunkelheit. Er wandte sich um, konnte aber nichts erkennen. Ein Druck legte sich auf seine Ohren.
    Mittlerweile war der Schein zu einer winzigen Flamme geschmolzen. Langsam begann das Feuerzeug in Körners Hand heiß zu werden. Da brachte ein feiner Luftzug die Flamme zum Flackern. Körner sah hoch. Direkt über seinem Kopf führte ein enger Schacht nach oben, der von dichten Ranken durchzogen war, wie ein ausgetrockneter, von Dutzenden Baumwurzeln durchdrungener Brunnenschacht. Über ihm musste sich der Dorfplatz befinden. Er stand so knapp vor dem Ziel, doch wie sollte er dort hinaufgelangen?
    Viel Zeit blieb ihm nicht. Je

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