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Der Judas-Schrein

Der Judas-Schrein

Titel: Der Judas-Schrein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gruber
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Mantelkragen spürte. Sie hielt ihn fest. Zur gleichen Zeit kroch ein klebriges Wesen an Körners Bein empor. Rasch zog es sich bis zu seinem Knie, umklammerte mit einer blitzartigen Bewegung seinen Oberschenkel und schob sich daran hoch.
    Da begannen sämtliche Albträume, die bisher in seinem Kopf gespukt hatten, real zu werden. Das Zischeln und Krauchen in der Dunkelheit um ihn herum nahm zu, als schossen mehrere Fangarme über den Boden. Körner versuchte, mit der Hand nach dem Tentakel zu schlagen, der sich um sein Bein gewunden hatte, verfehlte ihn aber.
    »Alex, wehre dich nicht dagegen«, flüsterte Sabriski direkt vor seinem Gesicht. »Es geht rasch vom…«
    Körner schlug ihr mit dem Handballen an die Schläfe. Sie verstummte, gleichzeitig löste sich ihr Griff von seinem Mantelkragen. Ohne erst einen Schritt zurückzustolpern sackte ihr Körper auf den Boden. Danach blieb nur noch das Kriechgeräusch der Fangarme.
    Ein zweiter Tentakel schlängelte sich an Körners Bein empor. Rasch ließ er sich zu Boden fallen und kroch auf allen Vieren in die Richtung, wo er Sabriski vermutete. Er tastete über den Steinboden, bekam ihre Schuhe zu fassen und arbeitete sich eilig an ihren Jeans bis zum Gürtel hoch. Es gab nur eine Möglichkeit, den Ausläufern des Gezüchts zu entkommen. Körner erinnerte sich an einen Satz aus dem Tagebuch: Fürchtete das Gezücht etwa das Feuer«? Womöglich hasste es das Feuer nach über hundert Jahren noch immer, vielleicht noch mehr als er selbst. Immerhin war Körner das Feuer eine Hilfe gewesen, als er seine Handfesseln in der Kerzenflamme gelöst hatte. Mit etwas Glück könnte ihm das Feuer ein weiteres Mal das Leben retten.
    Mit hektischen Fingern durchsuchte er Sabriskis Hosentaschen nach dem silbernen Benzinfeuerzeug, welches sie noch vor zwei Tagen bei sich getragen hatte. Er spürte ein kaltes Metall in ihrer Tasche. Während die Schlangenarme zwischen Gürtel und Pullover in Körners Hose zu kriechen begannen, drehte er das Feuerzeug in den Fingern, darauf bedacht, jede hektische Bewegung zu vermeiden. Mit schweißnassen Händen versuchte er den Deckel des Zippos zu öffnen. Jetzt spürte er das kalte Ende eines Fangarms direkt auf seiner Haut. Wie ein riesiger Wurm schob das Ding Pullover und Hemd zur Seite und öffnete ein kleines, saugnapfähnliches Maul, welches tastend über seinen Rücken wanderte. Instinktiv beugte Körner den Rücken so weit zurück, dass seine Haut im Lendenbereich Falten schlug. Dann hielt er das Feuerzeug in der richtigen Position, bekam den Deckel auf und legte den Daumen auf das Zündrad. Gleich beim ersten Versuch schnellte eine Flamme in die Höhe.
    Wie eine Peitsche schoss das Wesen aus seinem Pullover und suchte mit einem schnalzenden Geräusch das Weite. Im gleichen Augenblick lockerte sich der Griff um sein Bein. Körner hielt das brennende Zippo empor. Schattenhafte Tentakel wanden sich in dem Gewölbe, auf dem Boden, an den Wänden und an der Decke. Kaum zu glauben, dass dies alles Teil eines einzigen Wesens sein sollte. Er konnte nicht erkennen, wo sich das Zentrum des Körpers befand. Er schwenkte die Hand mit dem Zippo um seinen Kopf. Der Luftzug brachte die Flamme zum Flackern. In ihrem Schein flohen die Gliedmaßen in die Nischen und dunklen Gänge zurück. Das Getier stieß einen ekelhaften Schwefeldunst aus, ein Geruch wie von Moder und faulen Eiern. Nebelhafte Schwaden bildeten sich über dem Boden. Körner konnte nichts Genaues erkennen, sondern hörte bloß das ekelhafte Zischeln, welches ihm Schmerzen hinter der Stirn verursachte.
    Sein nächster Blick galt Jana Sabriski. Sie lag reglos, mit geschlossenen Augen auf dem Boden. Auf ihrer Schläfe, wo Körner sie erwischt hatte, zeichnete sich eine rote Prellung ab. Er tastete nach ihrer Halsschlagader. Ihr Puls war schwach. Körner fürchtete, dass Sabriski jeden Moment die Augen aufreißen und nach ihm greifen würde, doch nichts passierte. Sie blieb bewusstlos auf dem Boden liegen. Als er seine Hand von dem Rollkragen ihres Pullovers nehmen wollte, spürte er das Lederband an ihrem Hals. Er zog es unter dem Pullover hervor: ihr Talisman.
    Im Flackern des Benzinfeuerzeugs betrachtete er das verformte Bleigeschoss, das die Brust eines Mannes durchschlagen hatte und im Rückgrat stecken geblieben war. Als ihm der Glücksbringer vor zwei Tagen spielerisch durch die Finger geglitten war, hatten sie zuvor miteinander geschlafen gehabt. Die Sabriski, die jetzt vor ihm lag, hatte

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