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Der Judas-Schrein

Der Judas-Schrein

Titel: Der Judas-Schrein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gruber
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erfasst? Eine Eiseskälte kroch Körner über die Schulterblätter. Er spürte, wie die Tentakel nach seinem Rücken tasteten. Er glaubte, der Raum drehe sich um ihn. Das Blut rauschte in seinem Kopf, ein stetig steigender Druck legte sich auf seine Augen und Ohren und presste ihm Blutfäden aus der Nase. Wieder kippte sein Kopf nach vorne - immer wieder schreckte er sekundenlang aus einer Ohnmacht. Als er einen kurzen klaren Moment hatte, sah er einen glänzenden Gegenstand. Das Feuerzeug! Es war seine einzige Chance. Irgendwie musste er herankommen und es ein letztes Mal zum Brennen bringen.
    Mit behutsamen Bewegungen schlängelte er einen Arm aus dem Geflecht, um Sabriskis Lederband vom Hals zu nehmen, an dessen Ende das Bleigeschoss baumelte. Das Band in der Faust, schob er sie so nah wie möglich durch das Wurzelwerk an das Zippo heran. Ein schwacher Lichtschein spiegelte sich auf dem Metall des aufgeklappten Deckels. So sehr er den Arm reckte, es fehlten Körner an die fünfzehn Zentimeter. Er öffnete die Faust, schwang das Lederband aus dem Handgelenk. Mit einem metallenen Klicken berührte das Bleigeschoss das Feuerzeug. Das Band umfing das Zippo. Körner hielt den Atem an. Mit einer unendlich langsamen Bewegung spannte er das Band, bis sich das Feuerzeug rührte. Sachte zog er das Zippo über die schaufelartige Wurzel zu sich heran. Als es nahe genug war, griff er danach.
    Körner legte sich Sabriskis Glücksbringer wieder um den Hals, danach rieb er den Daumen über das Zahnrad. Ein Funke, sonst nichts! Er schüttelte das Zippo und versuchte es wieder und immer wieder, doch nur ein müder Funke kam heraus. Mittlerweile waren Körners Finger ölig vor Schweiß. Das Zippo musste nur ein einziges Mal Feuer geben. Bloß ein letztes Mal noch! Körners Muskeln brannten. Je öfter er es versuchte, desto mehr verkrampften sich seine Finger. Er atmete tief aus, lockerte die Hand, schüttelte den Arm, um wieder zu Kräften zu kommen. Erneut biss er sich auf die Lippen, um der schleichenden Ohnmacht zu entfliehen. Dann versucht er es erneut.
    Diesmal sprang die Flamme an, als habe sich ein letzter Tropfen Benzin gesammelt, der verzehrt werden wollte.
    Unerwartet vom Licht geblendet, fuhr Körners Arm zur Seite. Für einen Moment berührte das Feuer den Zipfel des anderen Mantelärmels, was genügte, damit die Flamme auf das brüchige Gewebe übersprang. Noch bevor Körner das versengte Material roch, züngelten die Flammen gierig über das schwefelhaltige Gelee, welches sich tief in den Mantelstoff gesogen hatte.
    Körner brüllte. In Panik ließ er das Zippo fallen. Der gesamte Mantel brannte lichterloh. Zuerst schnalzten die dünnen Fangarme wie Peitschen davon, gefolgt von den mächtigen Wurzeln. Als Körner von der letzten Ranke freigegeben wurde, wäre er in die Tiefe gestürzt, doch reaktionsschnell stemmte er sich mit gespreizten Beinen in das Gewächs, balancierte für einen Moment hilflos im Schacht, bis er mit den Händen Halt fand. Hitze umhüllte ihn. Die Flammen gierten nach seinen Haaren. Es roch nach brodelndem Schwefeldampf. Umständlich schlüpfte Körner mit den Schultern aus dem schweren Mantel und begann den flammenden Stoff abzuschütteln. Keine Sekunde zu spät zog er das Funkgerät aus der Tasche, worauf der Arbeiterkittel, einer Fackel gleich, abwärts segelte.
    Staub wölkte empor, als der Mantel aufschlug. Die Tentakel flohen vor dem Feuer, doch lange würde es nicht brennen. Sobald die letzte Glut erloschen war, würden sie wiederkehren, gewiss zorniger als zuvor - und ihn diesmal nicht verschonen. Körner steckte das Funkgerät in den Hosenbund. Ohne lange zu überlegen, hangelte er sich weiter den Schacht hinauf, die Schuhe im Wurzelwerk verkeilt, die Finger in die Ranken gekrallt. Über seinem Kopf befand sich das Fallgitter. Er packte den Eisenrost, drückte ihn hoch. Die Scharniere knarrten, Rost regnete ihm ins Gesicht. Körner stemmte sich mit der Schulter gegen das Hindernis und hob es aus der Verankerung.
    Der Raum über ihm glich einem Bretterverschlag, durch dessen Ritzen Lichtstrahlen fielen. Befand er sich tatsächlich im Inneren des Marmorbrunnens? Unmittelbar über Körners Kopf hing eine windschiefe Holzbank auf drei Winkeleisen, darüber baumelten Seilzüge mit Lederfesseln von der Decke. Er stemmte die Beine in das Erdreich der Schachtwand und griff nach einer der Fesseln. Die Ketten klirrten, das Leder knirschte. Körner zog sich daran hoch, bis er, mit den Beinen gegen

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