Der Judas-Schrein
nur gelang, die Sendetaste zu drücken, um die Funkverbindung herzustellen … dadurch würde das andere Gerät automatisch aktiviert und das Sprengmaterial gezündet.
Körner bekam das Funkgerät tatsächlich zu fassen, wollte es heranziehen. Da trat ihm jemand mit schwerem Schuhwerk auf die Finger. Körner biss die Zähne zusammen. Er blickte hoch, sah aber bloß die Hosenbeine eines dunklen Anzugs. Ein weiterer Schuh fegte über den Boden, der das Funkgerät meterweit wegschleuderte.
Der Mann, der auf Körners Hand stand, ließ sich ächzend in die Knie sinken. Es war Weißmann - Körner roch es an seinem aufdringlichen Aftershave. Der Greiner Bürgermeister presste sich die Hand auf die Seite, als wolle er die Schmerzen einer angeknacksten Rippe lindern. Mittlerweile hockten mehrere Männer auf Körner. Seine Arme und Beine waren gespreizt und er hatte keine Möglichkeit auch nur einen Finger zu krümmen. Ein Mann trat ihm zweimal in die Rippen. Körners Augenlider flatterten.
»Das genügt!«
Die Schläge hörten auf.
»Unglaublich, Sie sind zäh!« Weißmann fuhr sich mit den Fingern durch den silbergrauen Bart. »Doch Sie sind genauso naiv und dumm, wie sie stark sind. Was glauben Sie, bringt Ihnen das Funkgerät? Wen wollen Sie anfunken? Die Feuerwehr? Die Gendarmerie? Oder etwa die Kripo?«
Weißmann trug ein Pflaster über der Nase. Er lächelte mitleidig. »In Spoisdorf ist eine Chemie-Katastrophe ausgebrochen. Die Tanks sind überflutet, Millionen Tonnen giftiges Chlor und Cadmium sind ausgeflossen und in die Trier geströmt. Sämtliche Hilfskräfte sind im Einsatz. Wer glauben Sie, würde sich da wohl um einen Funkspruch von Ihnen kümmern?«
Körners Kopf wurde an den Haaren hochgerissen. Er sah, wie weitere Männer herantraten und eine dunkle Mauer vor ihm bildeten. Dahinter erspähte er für einen Moment den Schopf eines zappelnden Mädchens in Jeans und Pullover-Verena! Ein Bauer mit hochrotem Krebsgesicht und der Statur eines Stiers stand hinter Körners Tochter und presste ihr die schwielige Hand auf den Mund. Das Mädchen strampelte mit den Beinen und versuchte, nach dem Mann zu boxen, doch der Koloss verzog keine Miene, gab keinen Zentimeter nach.
»Verena«, flüsterte Körner. »Lasst das Mädchen gehen!«
Weißmann grinste höhnisch. »Natürlich. Wir lassen die Kleine laufen, sie schwimmt durch den Fluss und läuft zum nächsten Gendarmerieposten - wirklich clever!« Er wurde ernst. »Jahrelang haben wir die Angelegenheiten in unserem Ort so gehandhabt, dass nichts durchgesickert ist. Wir werden das auch weiterhin so erledigen. Sie werden heute sterben, und Ihre Tochter hat in drei Tagen ihren vierzehnten Geburtstag. Die Einpflanzung ist bloß ein kleiner Eingriff, danach wird das Mädchen zu einem Teil unserer Welt - wie Ihre Exfrau, Ihre Eltern und Ihre Kollegin.«
»Nein, nicht Verena!« Körner bäumte sich auf, doch die Männer hielten ihn nieder. Seine Muskeln erschlafften, seine Kräfte versagten. Wie konnte er die Teufel besiegen?
Doktor Weber trat aus der Menge hervor, diesmal nicht in einen Arztkittel, sondern in einen schwarzen Mantel gekleidet, der bis zum Hals zugeknöpft war. Er hob das Funkgerät vom Boden auf und drehte es kopfschüttelnd in der Hand. »Statt diese Nummer abzuziehen, hätten Sie durch den Fluss schwimmen und abhauen sollen, solange noch Zeit dafür war. Aber nein, Sie kommen hierher. Körner, Sie sind verrückt.« Er deutete mit der Antenne des Geräts auf Körner. »Wollten Sie uns damit erledigen?« Sein Finger lag gefährlich nahe an der Sendetaste.
Körners Gedanken überschlugen sich. Wie konnte er den Arzt dazu bringen, das Funkgerät zu aktivieren?
»Schalten Sie es doch ein!«, versuchte Körner den Doktor zu provozieren, erkannte aber im gleichen Moment, dass es ein plumper Trick war, der nie funktionieren würde.
Doktor Weber schüttelte den Kopf. »Armseliger Versuch. Das Funkgerät wird gemeinsam mit Ihnen, Ihrem Wagen und Ihren gesamten Unterlagen in der Trier landen. Bei dem Versuch, den Fluss zu überqueren, werden Sie leider ertrinken.«
»Die Autopsie wird das Gegenteil beweisen.«
»Oh, ich vergaß, wir haben es mit einem scharfsinnigen Kripobeamten zu tun.«
»Töten wir ihn gleich!«, rief jemand aus der Menge, den Körner nicht ausmachen konnte.
»Wir schaffen uns das Problem anders vom Hals!« Weber bedeutete einem Mann mit einem Aktenkoffer, näher zu kommen. Daraufhin holte er eine Injektionsnadel mit einer Ampulle aus
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