Der Judas-Schrein
das Fallgitter gestützt, auf der Bank saß.
Er atmete tief durch. Was immer unter ihm in der Tiefe lauerte, es würde jeden Augenblick nach oben schießen, um ihn hinabzuzerren. Die Stoffreste des Mantels glommen nur noch matt. Körner warf sich mit der Schulter gegen den Holzverschlag. Rostige Nägel knirschten in den faulen Pfosten. Immer wieder ließ sich Körner gegen die Latten fallen, bis sie krachend einbrachen. Er fiel durch die Bretterwand und stolperte durch eine Plane. Seine Knie schlugen auf kalte Marmorfliesen.
Er wälzte sich herum. Auf dem Rücken liegend starrte er von der Decke zur Seite, wo er auf Leinwand gespannte Ölfarbendrucke sah, die Bilder des Kreuzwegs. Er roch ein Gemisch aus Kerzenwachs und Weihrauch. Die Greiner Kirche! Pater Sahms heilige Stätte. Körner rappelte sich auf den Ellenbogen hoch. Unter der Plane, durch die er getaumelt war, erkannte er den schwarzen, geteerten Sockel des Judas-Schreins.
»Hat Ihre Kollegin Sie gefunden? Wir haben Sie erwartet.«
Körner fuhr herum. Pater Sahms stand über ihn gebeugt, mit Sorgenfalten auf der Stirn und einem kummervollen Blick. Der Priester trug eine Soutane und hatte das wenige, schlohweiße Haar nach hinten gekämmt. Er reichte Körner die von Altersflecken übersäte Hand. Körner zog sich daran hoch. Bei dem Händedruck zuckte er zusammen. Seine von Brandwunden, Schwielen und Blutblasen malträtierten Hände glichen einer offenen Wunde.
»Willkommen in Grein.« Pater Sahms lächelte. Hinter ihm standen Bert und Marga Krajnik, Wolfgang Heck, der Totengräber Hans Apfler, Doktor Weber und der alte Gehrer mit einer hässlich aufgeplatzten Lippe, wo ihn Körner mit dem Schaufelblatt getroffen hatte. Weiter hinten sah Körner den Gendarmen Alois Friedl, ebenso schlimm zugerichtet, Waltraud Stoißer, Bürgermeister Heinrich Weißmann, die Gemeindebeamtin, Frau Lusack und ein Dutzend weitere Dorfbewohner, die offensichtlich ihren Posten bei der Deichkrone aufgegeben hatten. Sie waren in dunkle Mäntel gehüllt, als würde eine Totenmesse gefeiert. Körner hätte sich keinen besseren Moment aussuchen können, um in den Ort zurückzukehren.
Wolfgang Heck trat aus der Menge hervor. »Diesmal sorge ich höchstpersönlich dafür, dass es dich erwischt«, zischte er und schlug Körner die Faust ins Gesicht.
32. Kapitel
Körner wurde zurückgeschleudert, sein Hinterkopf krachte gegen die Holzbalken, mit denen der Judas-Schrein zugenagelt worden war. Der Schmerz riss ihn endgültig aus seiner Benommenheit. Der Tagtraum und die Visionen, die seinen Verstand wie in ein Wattekissen gebettet hatten, waren verflogen.
Er rappelte sich auf und riss mit einem Ruck eines der zersplitterten Bretter heraus. Da war auch schon Heck heran, die Faust zum Schlag geballt. Während sich Körner duckte, trieb er Heck die Nägel des Lattenendes in die Kniescheibe. Im nächsten Moment wurde Körner links und rechts an den Armen gepackt und mit dem Rücken gegen den Beichtstuhl gedrückt. Vor ihm lag Heck auf dem Boden und jaulte beim Versuch, sich die rostigen Nägel aus dem Knie zu ziehen. Körner trat ihm den Fuß ins Gesicht, worauf Heck tonlos zusammenbrach.
»Passt auf seine Füße auf!«, brüllte Weißmann.
Körner holte ein weiteres Mal mit dem Bein aus und bohrte dem Mann zu seiner Rechten die Schuhspitze in die Magengrube. Das Opfer krümmte sich, wobei ihm pfeifend die Luft aus den Lungen zischte. Körners rechte Hand war nun frei.
»Achtung! Er befreit sich!«, schrie Weißmann.
Körner hieb dem kräftigen Mann links von ihm die Handkante in die Kehle. Die Augen des Hünen wurden groß, er taumelte zurück. Körner schlug noch einmal zu, diesmal traf er den Solar Plexus. Dabei fiel das Funkgerät aus Körners Hosenbund und schlitterte über den Marmorboden. Körner hoffte, dass sich der Kanalwahlschalter nicht verstellte.
Im Moment waren Körners Arme und Beine frei, doch sogleich stürzten weitere Männer herbei, die ihn grob am linken Oberarm packten. Körner stieß sich vom Beichtstuhl ab, wollte zum Funkgerät hechten, doch die Männer hielten ihn mit eisernem Griff fest. Er fiel auf den Bauch, dabei wurde sein linker Arm nach oben gebogen, dass es knirschte. Er schrie auf. Sofort saß ein Mann auf seinem Rücken und drückte sein Gesicht zu Boden. Körners Wange scheuerte schmerzhaft über den rauen Marmor.
»Bleib schön unten, Freundchen.« Er hatte Bert Krajniks Stimme erkannt.
Körner tastete nach dem Funkgerät. Wenn es ihm
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