Der Judas-Schrein
Ozean, und am Staudamm lassen sie immer mehr Wasser ab. Bald ersaufen wir hier!«
»Hast du die Lage im Griff?«
»Keine Sorge, pass auf!« Heck richtete sich auf und brüllte einige Kommandos an die Mannschaft der Feuerwehr, danach beugte er sich wieder ins Wageninnere.
»Wir haben schon Schlimmeres erlebt. Das Hochwasser vom Juli ’97 hat Schäden angerichtet, die du nur glauben würdest, hättest du sie mit eigenen Augen gesehen. Als das Wasser aus dem Ortszentrum nach Wochen endlich abgeflossen war, sah es aus wie nach dem Krieg. An die dreihundert Haushalte, Bauernhöfe und Geschäfte waren in Grein und Heidenhof betroffen - alles voller Schlamm, teilweise waren die Häuser weggerissen worden - unglaublich! Damit sich das nicht wiederholt, wurde der Deich auf einer Länge von zwei Kilometern verstärkt.« Er deutete flussaufwärts, Richtung Heidenhof. »Wir hatten Spezialisten vom Katastrophen-Schutzdienst hier, und das Projekt wurde vom Land gefördert. Der neue Deich ist gegen den Wackel-Effekt immun, durch die Entwässerungsschicht hält der Schutzwall wie eine Bunkeranlage. Außerdem ist hier eine lehmige Gegend, wie geschaffen für den Deichbau.« Er stampfte mit dem Stiefel auf den Boden. »Der sandige Lehm wird nicht so rasch durchweicht.«
Körner hörte sich alles geduldig an und nickte dazu. Heck war in seinem Element, er liebte Spannung und Abenteuer, und wenn er seine Freunde aus« der Gefahrenzone retten konnte, dann machte ihn das zum glücklichsten Menschen der Welt. Schon als Kind hatte er ein Faible für patriotische Rettungseinsätze gehabt, und fast schien es, als komme ihm das Unwetter gerade recht.
Hinter Körner kam ein Wagen zum Stehen, dessen Fahrer ihn mit der Lichthupe anblinkte.
»Ich muss weiter, vielleicht sehen wir uns morgen.« Körner tippte sich zum Gruß an die Stirn und schloss das Fenster.
Heck zwinkerte ihm zu, setzte sich den Helm auf und winkte den nachfolgenden Wagen durch. Als Körner über die Bodenschwelle der Brücke rumpelte, holperte es im Kofferraum. Die beschlagnahmten Zünder! Er durfte nicht vergessen, sie heute Abend bei Alfred Dworschak im Spurensicherungsbüro abzugeben.
Körner lenkte den Wagen auf die Bundesstraße und fuhr Richtung Wien. Befreit atmete er auf, endlich hatte er Grein hinter sich gelassen. Das kurze Gespräch mit Heck hatte ihm ein wenig den Schrecken vor Grein genommen, und morgen würde es nicht mehr so schlimm werden. Doch jetzt ging es heimwärts. Parallel zu ihm fuhr ein Zug entlang der Bundesstraße. Die Lok schob sich im Schritttempo über die von Wasser gefluteten Gleise. Immer wieder fiel der Strom der Oberleitung aus und ließ den Zug stocken. Heck hatte Recht, es herrschte tatsächlich ein Sauwetter. Die Straße war mit Geröll und Schlamm bedeckt, und die Lachen waren so ausgedehnt, dass die Straßenmarkierung auf weite Bereiche nicht zu erkennen war. Körner beschleunigte, bis er den Zug nur noch im Seitenspiegel sah.
Ihm knurrte der Magen; seit dem Frühstück hatte er nichts gegessen, doch immer noch würde er keinen Bissen hinunterbekommen. Er hatte vor, erst in Wien eine Kleinigkeit zu sich zu nehmen. Bis dahin lag eine Stunde Fahrt vor ihm, während derer er sich Gedanken über den Fall machen wollte. Die Digitalanzeige im Armaturenbrett sprang auf 14.00 Uhr. Rasch schaltete er von CD auf Radio um und hörte gerade noch jenen Teil, auf den er gewartet hatte.
»…Szenario in Grein am Gebirge. An der niederösterreichisch-burgenländischen Grenze wurde in den Morgenstunden die strangulierte Leiche eines vierzehnjährigen Mädchens aufgefunden. Die Kripo …«
Das war es gewesen! Körner lächelte, schaltete um auf CD, und Alan Parsons Project klang leise aus den Boxen. Er griff zum Handy und wählte Jutta Korens Nummer. Sie hob prompt ab, ließ ihn jedoch eine Minute in der Warteschleife hängen, da sie inmitten einer Besprechung saß.
Schließlich meldete sie sich. »Ich habe zwei Minuten Zeit.«
Er gab ihr einen knappen Lagebericht und erzählte ihr von dem anonymen Anruf bei der Neunkirchener Rundschau, der Aussage des Pressefotografen, jener Augenzeugin, die unansprechbar und mit Haldol voll gepumpt in das Nervenkrankenhaus nach Kierling unterwegs war, von dem Zustand der Leiche, Jana Sabriskis Kommentaren zur Wunde, und den Aussagen, die ihnen im Moment vom Dorfgendarmen, der Wirtin, dem Arzt und den Eltern des Mädchens vorlagen. Zuletzt erwähnte er das bizarre Eisengestell am Tatort und Sonja Bergers
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