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Der Judas-Schrein

Der Judas-Schrein

Titel: Der Judas-Schrein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gruber
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spartanisch eingerichtet: Auf einem u-förmigen Tresen befanden sich Dutzende Gläser mit Flüssigkeiten, ausgebreitetes chirurgisches Besteck, Beleuchtungskörper, Mikroskope, ein Videorekorder mit Monitor und meterlangem Kabelsalat, der in einem altersschwachen Sicherungskasten an der Wand verschwand.
    Philipp saß in Jacke und Schal auf einem Hocker und strich sich durch den Bart. Jana Sabriski stand hinter dem Tisch, auf dem Sabines Leichnam lag, den sie zum Glück auf den Rücken gedreht hatten. Die Augen des Mädchens waren geschlossen, und ihre Arme hingen über den Tischrand. Dicht über ihrem Körper schwebte eine Neonlampe, welche der Haut einen dunkelblauen Farbton gab. Die Stelle, wo ihr Sabriski den Bauch geöffnet hatte, war nur als Schatten zu erkennen. Die Medizinerin ging um den Tisch herum. Sie trug Latexhandschuhe, einen blütenweißen, offenen Kittel und darunter einen dicken Rollkragenpullover. Auf ihrer Nase saß eine schmale Brille mit eleganter Stahlfassung, über deren Rand hinweg sie Körner fragend musterte. Er hatte gar nicht gewusst, dass sie bei der Arbeit eine Brille brauchte. Hatte er sie tatsächlich so lange nicht mehr gesehen? Das Gestell passte ausgezeichnet zu ihrem braunen Haar, das sie nicht länger offen trug, sondern zu einem Zopf geflochten hatte. Damit sah sie zwar älter, aber verdammt interessant aus - und bei Gott, sie war eine interessante Frau. Was für ein Idiot er doch war! Er hätte sie nie gehen lassen sollen.
    »Die Detektivin mit dem Skalpell.« Er ging auf die beiden zu.
    »Alex.« Philipp nickte knapp.
    »Du siehst nicht gut aus«, begrüßte ihn Sabriski.
    Machte sie sich tatsächlich Sorgen um ihn, oder war das neuerdings ihre Art, Hallo zu sagen?
    »Endlich wieder in Wien«, ächzte Körner. »Der Dreck, die Abgase, die Hektik, der Verkehrsstau, die Neonreklamen und die Menschenmassen … ich weiß, es klingt verrückt, doch das ist mir allemal lieber, als in diesem Kaff herumzuhängen. Es ist, als betrete man eine andere Welt, in der alles anders läuft.«
    »Mir würde es dort gefallen«, antwortete Sabriski. »Die Berge, die Ruhe.«
    »Ich versteh ihn«, brummte Philipp. »Diese Typen auf dem Land haben alle eine Macke.«
    »Weil du keine Macke hast!«, fuhr ihn Sabriski an. Sie streifte die Handschuhe ab und schnalzte Philipp damit auf den Rücken. Er schrie gespielt auf.
    Körner sah zu Boden. Er mochte es nicht, wenn sie sich wie Kinder neckten. Konnten die beiden denn niemals ernst sein? »Wo ist Basedov?«
    Sabriski knüllte die Handschuhe zusammen und warf sie achtlos auf ein Tablett. »Wir sind mit der Leiche fertig - Feierabend! Basedov ist bei Frau und Kindern, und ich gehe jetzt ein Bier trinken.«
    »Was habt ihr rausgefunden?«
    Sabriski verschränkte die Finger und ließ die Gelenke knacken. »Sie hatte Cornflakes, Vollkornbrot und Orangensaft zum Frühstück, eine halbe Stunde danach wurde sie ermordet.«
    »Bist du sicher?« Körner runzelte die Stirn. »Laut Angaben der Eltern verließ sie das Haus um sieben Uhr, und entsprechend einer Zeugenaussage steht die Tatzeit mit fünf Minuten nach acht exakt fest.«
    »Natürlich bin ich mir sicher! Bist du dir sicher, dass deine Zeugenaussagen stimmen?«
    »Ja«, murmelte er.
    Sabriski schien unbeeindruckt. »In Ordnung, dann verlässt Sabine eben um sieben Uhr bei strömendem Regen das Haus, isst um sieben Uhr fünfunddreißig eine Schüssel Cornflakes, trinkt ein Glas Orangensaft und wird eine halbe Stunde später ermordet.«
    »Wo? Bei MacDonald’s? Klingt ziemlich unwahrscheinlich«, murmelte Körner. »Es sei denn, die Eltern lügen, und Sabine hat um halb acht noch gefrühstückt. Dann hätte sie allerdings den Schulbus versäumt. Irgendetwas stimmt da nicht. Das ist ein Scheiß-Fall!« Er wandte sich an Philipp. »Fehlt etwas?«
    Der Spurensicherer schüttelte den Kopf. »Soviel wir feststellen konnten, wurde nichts gestohlen. Eine Uhr, ein Ring, ein Armband und eine Geldbörse mit über zwanzig Euro Bargeld und einer Bankomatkarte für ein Jugendkonto waren noch da.«
    »Und fehlt von der Leiche etwas?«
    »Alles da, der Killer hat nichts mitgehen lassen. Aber vielleicht hätte er das, wenn er nicht überrascht worden wäre.« Philipp zuckte mit den Achseln.
    »Glaube ich nicht.« Das hätte zwar gut in Sonja Bergers Serienkiller-Theorie gepasst, doch mitderweile war Körner so weit, dass er diese Idee strikt ablehnte. »Fein, im Moment haben wir also nichts in der Hand. Ich gehe davon

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