Der Judas-Schrein
Chromosomen sichtbar … jetzt! … schau hin, jeder DANN-Faden verdoppelt sich.«
Widerwillig betrachtete Körner das Monitorbild. Die quallenförmige Kugel, die Sabriski als Zellkern bezeichnet hatte, wurde in der Mitte wie mit einem Faden durchschnürt. Die beiden Hälften spalteten sich voneinander ab, existierten allein weiter und wuchsen rasch zur vollen Größe heran. Er bemerkte, wie Sabriski fasziniert auf den Bildschirm starrte, doch nichts von ihrer Begeisterung sprang auf ihn über.
»Okay, Schluss damit!«, sagte er. »Erzähl mir einfach nur, womit wir es hier zu tun haben.«
»Sieh doch! Nach der Zellteilung wachsen die beiden Tochterzellen zur Größe der Mutterzelle heran … unglaublich!« Sie schluckte. »Was du gerade in zehn Sekunden Originalzeit gesehen hast, dauert normalerweise zwischen fünf und acht Stunden, die Zellteilung selbst noch einmal eine volle Stunde.«
»Jana, bitte! Beantworte mir nur eine einzige Frage: Wer oder was hat auf dieses Mädchen eingestochen?«
»Alex, du verstehst es immer noch nicht!« Sie betrachtete ihn erschöpft. »Es ist nicht von außen auf das Mädchen eingestochen worden, sondern aus ihrem Leib ist dieser Fremdkörper ins Freie getreten - und zwar mit einer solchen Wucht, dass ihre Wirbelsäule freigelegt wurde.«
»Ihr Rücken ist von innen aufgeplatzt?«, rief er. »Das soll ich dir glauben?« Er blickte sich im Saal um, ob sich einige Medizinstudenten hinter dem Wandschrank versteckten und sich vor Lachen bogen. Doch Sabriski sah ihn todernst an. Schließlich musste er grinsen. »Entschuldige bitte.« Er konnte sich nicht mehr beherrschen und lachte auf.
Da schaltete sie den Monitor mit einer abrupten Bewegung aus. »Es war ein Fehler, ich hätte dir die Mikroskopaufnahme nicht zeigen sollen.« Sie kramte in einer Schublade und nahm einige Seiten Computerausdrucke zur Hand. »Ich muss diese Gewebeproben zur DANN-Analyse nach Innsbruck ins Labor schicken. Danach wissen wir mehr. Bis dahin kann ich dir nur mit anders und irgendwie dienen.« Sie drückte ihm die Papiere in die Hand. »Das ist der vorläufige Bericht, ob du ihn nun haben willst oder nicht.«
»Du bist die beste, Jana, ich …«
»Ja, ja, hör schon auf, dich bei mir einzuschmeicheln.« Sie stemmte die Hände in die Hüften. »Ich weiß, was du denkst, aber ich bin nicht verrückt, und die Geräte funktionieren einwandfrei.«
»Tut mir Leid. Ich glaube dir und werde deinen Bericht lesen.« Er gab ihr einen Kuss auf die Wange. Merkwürdigerweise drehte sie den Kopf nicht zur Seite, sondern ließ es sich gefallen. Dabei merkte er, sie roch wie früher, nach ihrer Seifenmarke, ihrem Parfüm und Haarshampoo und dem vertrauten Geruch ihrer selbst gestrickten Rollkragenpullover. Er liebte diese Kombination, sie hatte etwas Warmes und Geborgenes.
Noch bevor er etwas sagen konnte, wurde sie wieder sachlich. »Wenn du an den Auswertungen zweifelst, kannst du Kurt Seiser oder Günter Marks hinzuziehen, aber die werden dir dasselbe sagen.«
Er wehrte ab. »Ist schon in Ordnung. Ich muss weiter ins Nervenkrankenhaus nach Kierling! Ich sollte zusehen, dass ich aus der Reporterin etwas herausbekomme, anschließend besuche ich Philipp im Labor und hole mir seinen Bericht und die Fotos von Basedov.«
Er ging zur Tür, wandte sich aber noch einmal um, als er schon die Klinke in der Hand hielt. »Ach ja, eine Sache noch …« Er kratzte sich im Nacken. »Philipp sagte, in Krems ’96 und in Gmunden ’98 habe er ähnliche Fälle untersucht. Es ist nur so eine Idee, aber tu mir bitte den Gefallen und besorge mir die damaligen Obduktionsberichte.«
»Ich werde es probieren …«
Er war schon zur Tür draußen.
»… und Alex!«
»Ja?« Er wandte sich ein letztes Mal um.
Sie stand neben dem schwarzen Monitor und dem Elektronenmikroskop, unter dem sich noch immer minütlich die Zellen teilten. »Ich weiß nicht, womit wir es hier zu tun haben. Sei vorsichtig! «
7. Kapitel
Die Büros in der dritten Etage des Landesgendarmeriekommandos waren menschenleer. Die große Wanduhr über dem Eingang des Reviers zeigte 19.00 Uhr. Körner hatte alle Unterlagen beisammen und marschierte mit einem dicken Stapel Akten unter dem Arm durch den Gang. Zum Glück waren die Hyänen nicht im Bau. Breitner und Sedlak waren im Einsatz, und Kretschmer saß im Verhörraum. Schwaiger war am harmlosesten von allen.
Er hatte Journaldienst und brütete mit den Füßen auf dem Tisch über einer Zeitung. Von ihm
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