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Der Judas-Schrein

Der Judas-Schrein

Titel: Der Judas-Schrein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gruber
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zweiten Lendenwirbels endet das Rückenmark. Exakt an dieser Stelle, zwischen dem zweiten und dritten Lendenwirbel, siehst du diese säureartige Abnützung, als wollte jemand den Rückenmarkkanal punktieren.«
    Körner betrachtete den Knochen. Er glaubte, eine fein abgeschliffene Stelle zu erkennen, so, als sei die Kante mit einer Feile poliert worden. »Hilf mir auf die Sprünge. Worauf willst du hinaus?«
    »Um es kurz zu machen: Sabine Krajniks Rückgrat wurde punktiert, um ihr Rückenmark und Liquor zu entnehmen. Wir haben in der Wunde Spuren des Marks und der Gehirnflüssigkeit entdeckt.«
    »Gehirnflüssigkeit in der Wunde?« Körner deutete stirnrunzelnd auf den Rumpf der Leiche.
    »Mein Gott, bist du ungebildet.« Sie verdrehte die Augen. »Das Gehirn schwimmt im so genannten Liquor, der Gehirn-Rückenmark-Flüssigkeit, die von der vierten Hirnkammer die Wirbelsäule bis zum Kreuzbein hinunterfließt, wo es die Wurzeln der unteren Rückenmarknerven umspült.«
    Körner sah sie verständnislos an. Sabriski ging um ihn herum, fuhr ihm mit dem Zeigefinger die Wirbelsäule entlang und bohrte ihm den Finger über dem Gesäß in den Rücken. »Exakt bis da hin! Das Rückenmark schwimmt in dieser Flüssigkeit richtiggehend wie in einem Wasserbett… sogar deines!«
    Er bemerkte, wie sie sich regelrecht um einen besonders ätzenden Tonfall bemühte. Danach wurde sie wieder ernst. »Vermutlich wurden dem Mädchen ein Milliliter Rückenmark und zwei Milliliter Liquor entnommen.«
    »Jana, ich möchte mir einen Crash-Kurs in Biologie ersparen. Bleiben wir bei den simplen Fakten: Heißt das, unser Mörder ist ein Arzt?«, versuchte er zu resümieren. In Gedanken sah er Dorfarzt Weber vor sich, der im Rot-Kreuz-Wagen gegenüber der Reporterin saß und die leeren Ampullen wegpackte.
    Sabriski wiegte zweifelnd den Kopf. Gedankenverloren drehte sie den Wirbel zwischen den Fingern. »Normalerweise wird Knochenmark aus der Hüfte, am Beckenkamm entnommen und Liquor zwischen dem vierten und fünften Lendenwirbel mit einer Hohlnadel punktiert, weil es dort kein Rückenmark mehr gibt, das verletzt werden könnte. Eine hochriskante Sache, da im Rückenmarkkanal sämtliche Nerven eingebettet liegen.« Sie hielt den Lendenwirbel hoch. »Doch ausgerechnet an dieser Stelle den Rückenmarkkanal mit einem Lendenstich zu punktieren, ist schlichter Wahnsinn …« Sie schüttelte den Kopf, als könne sie es selbst nicht glauben. »Außerdem hat das Mädchen bei diesem Eingriff aufrecht gestanden, was an den Blutspuren an der Wand eindeutig zu erkennen war, wohingegen man einen Lendenstich bei einer sitzenden, nach vorne gebeugten Person macht.« Sie legte den Wirbel zurück aufs Tablett.
    Körner versuchte, sich die Szene am Tatort vorzustellen und dachte unwillkürlich an das Eisengestell. »Oder bei einer Person, die mit Lederriemen und Seilzügen vornübergebeugt wird«, ergänzte er.
    Sie nickte knapp. »Jedenfalls muss dieser jemand, ob Arzt oder nicht, entweder größenwahnsinnig oder ein wahrer Künsder sein, und dabei ist es irgendwie zu diesem Schlamassel gekommen.« Sie deutete auf die Leiche und ließ ratlos die Schultern sinken. »Irgendwie?«
    »Ja - irgendwie. Ich weiß«, rief sie, um ihm zuvorzukommen, »in der Medizin gibt es kein Irgendwie, und ich habe dieses Wort noch nie bei meinen Autopsieberichten verwendet, aber in diesem Fall kann ich es nicht anders beschreiben.«
    »Schon gut.« Er hob beschwichtigend die Arme. »Kommen wir noch einmal zur Tatwaffe. Womit wurde das Mädchen punktiert, und welches Gerät hat sich an dem Wirbel festgesaugt?«
    Sabriski starrte ihn stumm an. Sie schüttelte den Kopf. »Kein Gerät.«
    »Eine Zange, ein Stahlstift, ein Mikro-Greifarm, ein Kabel, was weiß ich …«
    »Nein, nichts davon.« Sie kaute an der Unterlippe. »Aber wir haben zwei Dinge in der Wunde entdeckt. Erstens eine Kochsalzlösung mit hohem Fluimucil-Gehalt, ein Schleim lösendes Mittel. Das ist der Grund, weshalb es am Tatort nach Schwefel stank.«
    »Der Geruch nach verfaulten Eiern«, erinnerte sich Körner.
    Sie nickte. »Und zweitens, was noch viel sonderbarer ist, konnten wir diese organischen Fragmente von der Wunde isolieren.« Sie zeigte auf ein Dutzend Gläser, die randvoll mit durchsichtiger Flüssigkeit gefüllt waren. »Diese Überreste stammen nicht von der Leiche. Haare, Knochensplitter, Knorpel, Fleischfetzen, Hautteile und Blutspuren. Aber auch Stücke von Zahnbein und Wurzelhaut, wie sie im

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