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Der Judas-Schrein

Der Judas-Schrein

Titel: Der Judas-Schrein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gruber
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sah er die Umrisse des Verbands. Die Mullbinde erinnerte ihn an die Schießerei des gestrigen Abends, und die geistige Assoziationskette funktionierte wie eine perfekt eingespielte Routine: entsicherte Waffe - Handgemenge - Schießerei - verletzter Beamter - Geiselnehmer im Koma - Rechtsanwalt - Presse - Disziplinarverfahren - Anhörung vor Gericht - Suspendierung … mit einem Wort: Sein Leben war im Arsch. Alles hing von diesen Ermittlungen ab.
    Er drängte diese Gedanken beiseite und konzentrierte sich auf Berger, die in den Unterlagen kramte.
    »… keine Augenzeugen. Niemand hat Sabines Fußmarsch vom Haus ihrer Eltern zur Bar beobachtet, ich habe alle Häuser abgeklappert und mir dabei die Füße wund gelaufen. Seit ich hier bin, hänge ich am Telefon. Ich habe Hunderte Anrufer notiert und die ersten Dutzend Hinweise zu einer Liste erstellt. Allein wäre ich in der Flut erstickt, aber Kempen und Malik vom Nebenbüro halfen mir, die Daten der Reihe nach durchzuackern und auszusieben. Dutzende wollen Sabine getötet haben, doch alle Möchtegern-Täter reden nur vom Strangulieren, so konnten wir sie von vornherein ausschließen. Jedenfalls war der echte Täter nicht unter den Anrufern. Niemand brüstete sich damit, das Mädchen in den Rücken gestochen zu haben.«
    In den Rücken gestochen! Vor wenigen Stunden hatte er das selbst noch geglaubt, doch wenn Sabriski Recht behielt, war selbst das nicht der Fall. In Wahrheit suchten sie nach einem Mörder, der es zu Wege gebracht hatte, das Mädchen von innen zu zerreißen und ihm das Rückgrat zu sprengen. Er dachte an das fremde Gewebe in der Wunde, das eine erhöhte Zellteilung aufwies und sich von selbst regenerierte. Im Moment sagte er Berger nichts davon, sie würde Sabriskis Autopsiebericht noch früh genug lesen.
    »Was gibt es bei Ihnen Neues?«, fragte sie.
    Er ließ den Stift auf die Schreibtischunterlage fallen. »Der Fall ist absolut verrückt! Philipp und Sabriski sind davon überzeugt, dass es keine vorsätzliche sondern eine spontane Tat war, etwas, das außer Kontrolle geriet.«
    »Kann ich mir nicht vorstellen.«
    »Einige Ergebnisse sprechen dafür«, gab er zu bedenken, »doch glaube auch ich nicht so recht an eine Affekthandlung. Es muss ein geplanter Mord gewesen sein, sonst hätte er nicht angekündigt werden können.«
    »Sie vergessen, der Mord wurde nicht angekündigt. Lediglich, dass etwas Schreckliches in den Morgenstunden passieren würde.«
    »Herrgott, Sie reden wie Sabriski.« War er der Einzige, der den Mord für ein raffiniertes Verbrechen hielt? Irrte er am Ende? War es tatsächlich bloß ein schrecklicher Unfall gewesen - oder das beliebige Werk eines wahnsinnigen Serienkillers? Doch wie hätte ein solcher Killer diese Wunde zu Stande bringen sollen?
    »Außerdem konnte uns Sabriski keine Mordwaffe liefern, die Wunde muss irgendwie anders entstanden sein.«
    »Und zwar?«
    »Sie weiß es nicht«, log Körner. »Sie möchte noch den Laborbefund aus Innsbruck abwarten. Jedenfalls glauben Philipp und Sabriski, dass es drei Täter waren.«
    »Drei Täter? Meine Güte, wie kommen die darauf?«
    »Steht alles hier drin.« Er tippte auf den Aktenstapel. »Hier ist Sabriskis gerichtsmedizinischer Bericht, Philipps Spurensicherungsbericht, der Tatortbefundbericht, die Zeichnungen, Skizzen, Fotos und Zeugenaussagen, welche die Beamten vom Gendarmerieposten Neunkirchen aufgenommen haben.«
    »Haben Sie das alles schon gelesen?«
    »Noch nicht. Ich komme gerade vom Spurensicherungsbüro, zuvor war ich in Kierling bei der Reporterin. Es sieht schlecht aus. Sie ist vollkommen weggetreten. Dieser unfähige Kerl von Dorfarzt hat sie komplett mit Haldol voll gepumpt, die bekommt nicht einmal ein Auge auf. Dabei hätte ich nur eine Minute mit ihr sprechen müssen. Eine Minute! Das hätte gereicht!« Er klatschte die Faust in die Hand. »Sie hätte mir sagen können, was für ein Ding im Rücken der Kleinen steckte, und ob es drei Täter waren, oder ob es nur einer war! Das wäre ein Meilenstein im Fortgang der Ermittlungen gewesen. Dieser Mistkerl! Ich bin selbst schuld, ich hätte sofort mit ihr sprechen und mir anschließend den Tatort ansehen sollen.«
    »Beruhigen Sie sich, die Reporterin wird schon zu sich kommen, dann haben wir eine Augenzeugin. In der Zwischenzeit bleibt uns das hier.« Sie starrte auf den Aktenberg, der als schiefer Turm auf dem Schreibtisch stand.
    »Sie haben Recht.« Körner kippte den Stapel, verteilte die Flügelmappen

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