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Der Judas-Schrein

Der Judas-Schrein

Titel: Der Judas-Schrein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gruber
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lächeln. »Kein Problem. Sie haben natürlich Recht, die Entwicklung geht in diese Richtung. In den dreißiger Jahren war das anders, als noch das Bergwerk in Betrieb war.«
    »Ich weiß, ich habe darüber in der Dorfchronik gelesen.«
    Körner blickte sie erstaunt an. »Sie waren fleißig.«
    »Ich habe meine Hausaufgaben gemacht. Tief im Hohen Gschwendt liegt das ehemalige Steinkohlenbergwerk. Wenn man das Dorf betrachtet, ist es kaum zu glauben, dass es vor über fünfundsechzig Jahren eine große, blühende Bergarbeitergemeinde mit über zweitausend Einwohnern war.«
    »Ich kenne diese Zeit nur aus Erzählungen. Als Junge war ich in den stillgelegten Tunneln. Die Stollen mit den morschen Holzbalken, brüchigen Benzingaslampen und rostigen Gleisanlagen für die Grubenhunte waren unser Spielplatz. Allerdings haben wir uns nie weiter vorgewagt, als das hereinfallende Tageslicht reichte. Die Stollen hinter der dritten, vierten Biegung wirkten ziemlich unheimlich. Unsere Eltern hätten uns den Kopf abgerissen, wenn sie erfahren hätten, wo wir uns herumtrieben. Was erzählt die Dorfchronik über das Grubenunglück von 1937?«
    »Nur, dass das Bergwerk danach stillgelegt wurde. Viele Bewohner wurden arbeitslos und zogen mit ihren Familien von Grein und Heidenhof fort. Vom Glanz der dreißiger Jahre ist nicht viel übrig geblieben. Heute lebt in beiden Orten nur noch ein Viertel der damaligen Bevölkerung.«
    Er überlegte. »Wo arbeiten die Leute heutzutage eigentlich? Die pendeln doch nicht nach Wien?«
    »Auch das kann ich Ihnen beantworten.« Sie reckte sich stolz, doch dann machte sie eine bekennende Geste. »Naja, der Gendarm war ziemlich gesprächig. Er erzählte mir, in Heidenhof seien viele Bauern und Viehzüchter ansässig - aber das wissen Sie bestimmt - und eine Menge der berufstätigen Männer und Frauen aus Grein arbeiten oben im Trieracher Wasserkraftwerk beim Staudamm oder noch weiter oben in Spoisdorf, in einem Chemiewerk mit rund achthundertfünfzig Beschäftigten. Das sind die beiden einzigen größeren Betriebe in der Umgebung.«
    »Beides gab es damals noch nicht«, murmelte Körner. »Weder einen Staudamm noch eine Chemiefabrik …« Chemie! Das war das Stichwort. Ihm fiel etwas ein. »Wer im Ort hat Zugang zu Valium?«
    Sie sah ihn überrascht an. Scheinbar konnte sie seine Gedankensprünge nicht nachvollziehen. »Der Dorfarzt«, antwortete sie verblüfft.
    »Volltreffer!«, rief Körner. »Da ist er wieder, unser Dorfarzt. Eine nette Spur, der wir nachgehen sollten. Aber heute ist es schon zu spät.«
    Wie auf Kommando hielt sich Berger die Hand vor den Mund und gähnte. »Tut mir Leid, ich bin müde, zu viele Daten, Fakten, Protokolle und Spuren schwirren in meinem Kopf herum. Ich sehe keine klaren Zusammenhänge mehr, dabei gibt es noch so vieles zu prüfen.«
    Das war das nächste Stichwort. Körner setzte eine bedauernde Miene auf. »Ich habe übrigens mit Koren telefoniert. Wir bekommen keinen zusätzlichen Ermittler ins Team. Wegen einer Bauerngöre wird kein Zirkus veranstaltet.«
    Berger schlichtete ihre Unterlagen zu einem Stoß. »Das habe ich befürchtet, doch warten wir ab, bis sich der zweite Mord im Ort ereignet. Dann werden unsere Vorgesetzten vielleicht munter.«
    »Sie glauben, es geht weiter?«
    Sie sah ihn ernst an. »Egal ob Serienkiller oder nicht, ob geplantes Verbrechen oder spontane Tat … ich habe die Leiche gesehen und Sabriskis merkwürdigen Autopsiebericht gelesen. Was immer es war, es hat gerade erst begonnen.«
    Er half ihr, die Berichte in die Flügelmappen zu sortieren. »Jedenfalls liegen wir nicht schlecht in der Zeit, und morgen haben wir ein volles Programm.«
    »Womit beginnen wir?« Sie klang nicht gerade begeistert, und er konnte es ihr nicht einmal verdenken.
    »Zunächst müssen wir die Angaben von Sabines Eltern unter die Lupe nehmen, damit stimmt etwas nicht. Angeblich verließ sie um sieben Uhr mit der Schultasche das Haus, doch laut Autopsiebericht frühstückte sie erst um halb acht. Außerdem müssen wir uns noch Martin Goisser und den Dorfarzt vorknöpfen, und Sabines Schulkollegen und den Lehrern der Hauptschule Neunkirchen einen Besuch abstatten. Das sind im Moment unsere besten Spuren.«
    Berger sah ihn zuversichtlich an. »Ich weiß, wie viel Ihnen daran liegt, den Fall so schnell wie möglich zu lösen. Auch wenn im Moment noch vieles verrückt klingt, bin ich mir sicher, wir sind auf der richtigen Fährte. Es liegt fast alles auf der Hand,

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