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Der jüdische Krieg.

Der jüdische Krieg.

Titel: Der jüdische Krieg. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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Ihnen Brief und Siegel, daß der Große Rat und die Doktoren von Jerusalem sich Senat und Volk von Rom unterwerfen. Ich bitte Sie dagegen um eines: lassen Sie mir eine kleine Stadt, daß ich eine Universität dort gründe, und geben Sie mir Lehrfreiheit.« – »Daß ihr mir von neuem die finstersten Rezepte gegen Rom zusammenbraut«, schmunzelte Vespasian. Jochanan Ben Sakkai machte sich noch kleiner und geringer: »Was wollen Sie? Ich werde pflanzen ein winziges Reis von dem mächtigen Baume Jerusalem. Geben Sie mir, sagen wir, das Städtchen Jabne. Jabne, es wird eine so kleine Universität sein.« Betulich redete er dem Römer zu, malte mit Gesten die Geringfügigkeit seiner Universität: ach, sie wird so klein sein, seine Universität Jabne, und er schloß und öffnete seine winzige Hand.
      Vespasian erwiderte: »Schön, ich werde Ihren Vorschlag nach Rom übermitteln.« – »Übermitteln Sie nicht«, bat Jochanan. »Ich möchte nur mit Ihnen zu tun haben, Konsul Vespasian.« Hartnäckig wiederholte er: »Sie sind der Adir.«
      Vespasian erhob sich; breit, bäurisch fest stand er vor dem sitzenden Großdoktor. »Offen gestanden«, sagte er, »ganz verstehe ich es nicht, was ihr gerade an mir für einen Narren gefressen habt. Sie sind ein alter, weiser und, wie es scheint, relativ ehrlicher Herr. Wollen Sie es mir nicht erklären? Ist es nicht schwer erträglich, wenn in dem Land, das euer Gott Jahve euch zugesagt hat, ausgerechnet ich der Adir sein soll? Ich höre, daß von allen Völkern ihr am heftigsten vor der Berührung mit andern zurückscheut.« Jochanan hatte die Augen geschlossen. »Als die Engel Gottes«, dozierte er, »nach dem Untergang der Ägypter im Schilfmeer ein Jubellied anstimmen wollten, sprach Jahve: ›Meine Geschöpfe ertrinken, und ihr wollt ein Jubellied singen?‹« Der Marschall trat ganz nahe an den winzigen Gelehrten heran, rührte ihm leicht, vertraulich die Schulter, fragte listig: »Aber soviel stimmt doch: als richtige, vollwertige Menschen anerkennt ihr uns nicht?« Jochanan, immer die Augen geschlossen, erwiderte still, wie von weit her: »Wir opfern am Laubhüttenfest siebzig Stiere zur Sühnung der Nichtjuden vor Gott.«
      Vespasian sagte ungewohnt höflich: »Wenn Sie nicht zu müde sind, mein Doktor und Herr Jochanan, dann bitte ich noch um eine Belehrung.« – »Ich antworte Ihnen gern, Konsul Vespasian«, sagte der Großdoktor.
      Vespasian stützte die Hände auf den Tisch. Über den Tisch hinüber, gespannt, fragte er: »Hat ein Nichtjude eine unsterbliche Seele?« Jochanan erwiderte: »Es gibt sechshundertdreizehn Gebote, die zu halten wir Juden verpflichtet sind. Der Nichtjude ist nur auf sieben Gebote verpflichtet. Hält er sie, dann läßt sich auch in ihm der Heilige Geist nieder.« – »Welches sind diese sieben Gebote?« fragte der Römer. Jochanan zog die runzligen Brauen hoch, seine blauen Augen schauten hell und sehr jung in die grauen des Vespasian. »Es ist ein Ja und sechs Nein«, sagte er. »Er muß Gerechtigkeit üben, er darf Gott nicht leugnen, Götzen nicht dienen, darf nicht morden, nicht stehlen, nicht Unzucht treiben und nicht Tiere quälen.« Vespasian dachte ein wenig nach, dann sagte er bedauernd: »Da habe ich leider wenig Aussicht, daß sich in mir der Heilige Geist niederläßt.«
      Der Großdoktor schmeichelte: »Finden Sie es sehr gefährlich für Rom, wenn wir in meiner kleinen Universität Jabne solche Dinge lehren?« Breit, ein wenig protzig, sagte Vespasian: »Gefährlich oder nicht, groß oder klein, welche Ursache überhaupt sollte ich haben, euch entgegenzukommen?« Der Alte machte ein pfiffiges Gesicht, hob die winzige Hand, führte sie einmal durch die Luft, legte dar, wieder im Singsang orientalischen Dozierens: »Solange Sie nicht der Adir sind, haben Sie keinen Grund, Jerusalem zu erobern; denn Sie brauchen vielleicht Ihre Truppen, um der Adir zu werden. Sowie Sie aber ernannt sind, haben Sie vielleicht keine Zeit mehr, Jerusalem zu erobern. Vielleicht dann aber ist es für Sie von Interesse, wenn nicht das eroberte Jerusalem, so doch einen Rechtstitel mit nach Rom zu bringen. Vielleicht ist Ihnen dieser Rechtstitel die kleine Konzession wert, um die ich Sie bitte.«
      Er schwieg, er schien erschöpft. Vespasian hatte seinen Darlegungen mit großer Aufmerksamkeit zugehört. »Wenn Ihre andern Herren so schlau wären wie Sie«, schloß er lächelnd die Unterhaltung, »dann wäre ich wahrscheinlich nie in die

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