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Der jüdische Krieg.

Der jüdische Krieg.

Titel: Der jüdische Krieg. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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gehört sich für einen Juden in seiner Stellung, im Gegensatz zu den Römern, nur mit bedecktem Kopf auszugehen. Ach was, hier in Rom laufen die meisten Juden genauso barhaupt wie die andern, zumindest wenn sie die Tiberbrücken hinter sich haben. Seine jüdische Gesinnung wird nicht lauer, auch wenn er keinen Hut trägt.
      Jetzt steht er vor der Großen Rennbahn. Hier ist alles voll von Trümmerwerk, hier war der Ursprung des Brandes. Immerhin, die Steinteile der Grundform sind intakt. Eine Riesensache, diese Große Rennbahn. Man braucht an die zehn Minuten, um ihre Länge auszuschreiten. Das Stadion in Jerusalem und das in Cäsarea sind wahrhaftig nicht klein, aber vor diesem Bauwerk wirken sie wie Spielzeug.
      Im Innern der Rennbahn schichtet es sich, Steine und Holz, es wird gearbeitet. Neugierige treiben sich herum, Kinder, Bummler. Josef hat seine Garderobe noch nicht ganz der Hauptstadt angepaßt; dennoch, wie er so einherschlendert, jung, schlank, stattlich, mit Augen, die nach allem greifen, wirkt er elegant, nicht knauserig, ein Herr. Man drängt sich an ihn, bietet ihm Amulette an, Reiseandenken, eine Nachahmung des Obelisk, der fremd und feierlich in der Mitte der Rennbahn steht. Ein autorisierter Fremdenführer will ihm alle Einzelheiten zeigen, die kaiserliche Loge, das Modell des Neubaus. Aber Josef winkt mit gespielter Lässigkeit ab. Er steigt allein herum zwischen den Steinbänken, als sei er hier bei den Rennen ständiger Zuschauer gewesen.
      Das hier unten sind offenbar die Bänke der Hocharistokratie, des Senats. Niemand wehrt ihm, sich auf einen dieser vielbegehrten Sitze niederzulassen. Man sitzt gut hier in der Sonne. Er lockert seine Haltung, stützt den Kopf in die Hand,
    schaut blicklos nach dem Obelisk in der Mitte.
      Eine bessere Zeit für sein Vorhaben als diese Monate jetzt nach dem großen Brand hätte er nicht erwischen können. Die Leute sind gut aufgelegt, empfänglich. Die Energie, mit der der Kaiser sich an den Wiederaufbau der Stadt gemacht hat, wirkt belebend auf alle. Überall regt es sich, ringsum ist Zuversicht und Geschäft, helle, frische Luft, sehr anders als die schwierige, stickige Atmosphäre Jerusalems, in der er nicht weiterkam.
      In der Großen Rennbahn, auf der Bank des Senats, in der angenehmen Sonne dieses faulen Frühnachmittags, inmitten des Lärms des wieder aufzubauenden Rom überprüft Josef leidenschaftlich und doch kühl wägend seine Chancen. Er ist sechsundzwanzig Jahre alt, er hat alle Voraussetzungen einer großen Laufbahn, Herkunft aus adligem Haus, gründliche Bildung, staatsmännisches Geschick, rasenden Ehrgeiz. Nein, er will nicht in Jerusalem versauern. Er ist seinem Vater dankbar, daß der an ihn glaubt und ihm erwirkt hat, daß man ihn nach Rom schickte.
      Seine Mission hier ist allerdings recht fragwürdig. Juristisch betrachtet, hat der Große Rat von Jerusalem weder Anlaß noch Legitimation, in dieser Sache einen Sondergesandten nach Rom abzuordnen. Josef hat auch aus allen Winkeln seines Hirns Argumente zusammenkratzen müssen, bis die Herren in Jerusalem zögernd nachgaben.
      Also: die drei Mitglieder des Großen Rats, die der Gouverneur Anton Felix vor nunmehr zwei Jahren als Aufrührer an das Kaiserliche Tribunal nach Rom geschickt hat, sind zu Unrecht zu Zwangsarbeit verurteilt. Gewiß, die drei Herren waren in Cäsarea gewesen, als dort die Juden während der Wahlunruhen die kaiserlichen Insignien vor der Residenz des Gouverneurs herunterholten und zerbrachen: aber sie selber hatten sich an dem aufrührerischen Akt nicht beteiligt. Wenn der Gouverneur gerade diese drei hochgestellten Greise herausgegriffen hatte, so war das Willkür gegen Unschuldige, ein skandalöser Übergriff, eine Beleidigung des gesamten jüdischen Volkes. Josef sah hier die ersehnte, große Gelegenheit, sich auszuzeichnen. Er hat neue Zeugen für die Unschuld der drei aufgetrieben, er hofft, am kaiserlichen Hof ihre Rehabilitierung oder wenigstens ihre Begnadigung durchzusetzen.
      Die römischen Juden freilich, das hat er gemerkt, werden sich nicht übermäßig anstrengen, ihm bei seiner Mission zu helfen. Der Möbelfabrikant Cajus Barzaarone, Präsident der Agrippenser-Gemeinde, bei dem er wohnt und an den er gute Empfehlungen seines Vaters mitbringt, hat ihm in Andeutungen, schlau, wohlwollend und vorsichtig die Situation erklärt. Den hunderttausend Juden in Rom geht es nicht schlecht. Sie leben in Frieden mit der übrigen Bevölkerung.

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