Der jüdische Krieg.
Bibliothek, in den Bädern, in den Luxusrestaurants von Canopus. Der Jude mit dem goldenen Schreibzeug war bald überall bekannt. In manchen Lehrsälen bei seinem Eintritt erhoben sich Lehrer und Studenten. Die Fabrikanten, die Kaufherren waren stolz, wenn er ihre Werke, Lager, Warenspeicher besichtigte, die Literaten geehrt, wenn er ihren Vorlesungen beiwohnte. Er führte das Leben eines großen Herrn. Die Männer hörten auf ihn, die Frauen flogen ihm zu.
Ja, er hatte recht gehabt mit seiner Prophezeiung. Vespasian war wirklich der Messias. Die Erlösung freilich durch diesen Messias vollzog sich anders, als er gedacht hatte, langsam, hell, nüchtern. Sie bestand darin, daß dieser Mann die Schale des Judentums zerschlug, auf daß ihr Inhalt über die Erde verströmte und Griechentum und Judentum ineinanderschmolzen. In Josefs Leben und Weltbild drang immer mehr von dem hellen, skeptischen Geist dieser östlichen Griechen. Er verstand nicht mehr, wie er früher hatte Abscheu spüren können vor allem Nichtjüdischen. Die Heroen des griechischen Mythos und die Propheten der Bibel schlossen einander nicht aus, es war kein Gegensatz zwischen den Himmeln Jahves und dem Olymp des Homer. Josef begann die Grenzen zu hassen, die ihm früher Auszeichnung, Auserwähltheit bedeutet hatten. Es kam darauf an, das eigene Gute überfließen zu lassen in die andern, das fremde Gute einzusaugen in sich selbst.
Er war der erste Mensch, eine solche Weltanschauung beispielhaft vorzuleben. Er war eine neue Art Mensch, nicht mehr Jude, nicht Grieche, nicht Römer: ein Bürger des ganzen Erdkreises, soweit er gesittet war.
Von jeher war die Stadt Alexandrien der Hauptsitz der Judenfeinde gewesen. Hier hatten Apion, Apollonius Molo, Lysimach, der ägyptische Oberpriester Manetho gelehrt, die Juden stammten von Aussätzigen ab, sie verehrten in ihrem Allerheiligsten einen Eselskopf, sie mästeten in ihrem Tempel junge Griechen, schlachteten sie an ihrem Osterfest und schlössen alljährlich, das Blut dieser Opfer trinkend, ein jüdisches Geheimbündnis gegen alle andern Völker. Vor dreißig Jahren hatten zwei Direktoren der Sporthochschule, Dionys und Lampon, die judenfeindliche Bewegung fachmännisch organisiert. Der weiße Schuh der Sporthochschule war allmählich zum Symbol geworden, und jetzt nannten sich die Judenfeinde des ganzen Landes Ägypten »Die Weißbeschuhten«.
Mit dem Juden Josef war den Weißbeschuhten eine neue Plage über Alexandrien gekommen. Wie er hochmütig in der Stadt herumfuhr und sich feiern ließ, galt er ihnen als der fleischgewordene jüdische Übermut. In ihren Klubs, bei ihren Zusammenkünften sang man Couplets, zum Teil recht witzige, über den jüdischen Freiheitshelden, der zu den Römern übergelaufen war, über den betriebsamen Makkabäer, der sich überall einschob und den Mantel nach jedem von den acht Winden hängte.
Eines Tages nun, als Josef das Agrippabad betreten wollte, mußte er in der Vorhalle eine Gruppe junger weißbeschuhter Herren passieren. Kaum waren die Weißbeschuhten seiner ansichtig geworden, als sie einen widerlich näselnden, gurgelnden, quiekenden Singsang anstimmten: »Marin, Marin«, offenbar um die enthusiastischen Zurufe der Juden an Josef zu parodieren.
Josefs blaßbraunes Gesicht erblaßte noch tiefer. Aber er ging gerade zu, den Kopf nicht rechts noch links drehend. Die Weißbeschuhten, als sie sahen, daß er ihrer nicht achtete, verdoppelten ihre Zurufe. Einige riefen: »Geht nicht zu nah an ihn heran, daß ihr euch nicht ansteckt.« Andere: »Wie schmeckt Ihnen unser Schweinefleisch, Herr Makkabäer?« Von allen Seiten jetzt johlte es, gellte es: »Josef, der Makkabäer! Der beschnittene Livius!«, und Josef sah vor sich eine Mauer hämischer, haßgeifernder Gesichter. »Wünschen Sie was?« fragte er in das nächste Gesicht, ein olivbraunes, und seine Stimme war sehr ruhig. Der Angeredete, mit übertrieben frecher Unterwürfigkeit, sagte: »Ich wollte Sie nur um eine Auskunft bitten, Herr Makkabäer. Ist Ihr Herr Vater auch aussätzig gewesen?« Josef schaute ihm in die Augen, sagte nichts. Ein zweiter Weißbeschuhter, auf Josefs goldenes Schreibzeug weisend, fiel ein: »Hat das einer Ihrer Herren Väter mitgehen lassen, als sie aus Ägypten hinausgejagt wurden?« Josef sagte noch immer nichts. Plötzlich, mit einer erschreckend jähen Bewegung, zog er das schwere Schreibzeug aus dem Gürtel, schlug es dem Frager auf den Kopf. Der brach
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