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Der jüdische Krieg.

Der jüdische Krieg.

Titel: Der jüdische Krieg. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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die Stadt versteckte diese Früchte nicht. Während in den engen Straßen Roms und in den hügeligen Straßen Jerusalems jeder Wagenverkehr tagsüber verboten war, hallten in Alexandrien die luftigen Boulevards wider vom Verkehr von Zehntausenden von Fahrzeugen, und eine nie abreißende Reihe von Luxusgefährten zog die beiden Korsostraßen auf und ab. Riesig hob sich inmitten weiter Parks die Residenz der alten Könige, das Museum, die stolze Bibliothek, das Mausoleum mit dem gläsernen Sarg und dem Leichnam Alexanders des Großen. Der Fremde brauchte Wochen für die vielen Sehenswürdigkeiten. Da war noch das Heiligtum des Serapis, die Theater, die Rennbahn, die Insel Pharus, gekrönt von ihrem weißen, berühmten Leuchtturm, die riesigen Industrie- und Hafenanlagen, die Basilika, die Börse, die die Warenpreise der Welt festsetzte, und nicht zuletzt das große Vergnügungsviertel, das in den üppigen Badeort Canopus ausmündete.
      Man lebte leicht und gut in Alexandrien. Zahllos waren die Garküchen und die Kneipen, in denen das berühmte einheimische Gerstenbier verzapft wurde. An allen Tagen, die das Gesetz dafür freigab, fanden in den Theatern, im Sportpalast, in der Arena Spiele statt. In ihren Stadtpalästen, in ihren Villen in Eleusis und Canopus, auf ihren Luxusjachten gaben die Reichen raffiniert ausgeklügelte Feste. Das Ufer des zwanzig Kilometer langen Kanals, der Alexandrien mit dem Badeort Canopus verband, war besetzt mit Speisehäusern. Man fuhr auf Barken den Kanal hinauf und hinunter; die Kajüten hatten Vorrichtungen, daß sie bequem verhängt werden konnten; überall am Ufer im Schatten des Geranks der ägyptischen Bohne lagen solche Schiffe verankert. Hier in Canopus lokalisierte man die elysäischen Gefilde Homers; in allen Provinzen träumten die Kleinbürger von canopischen Ausschweifungen, sparten für eine Reise nach Alexandrien.
      Auch edleren Genüssen diente der Reichtum der Stadt. Das Museum übertraf die Kunstsammlungen Roms und Athens, die lückenlose Bibliothek hatte neunhundert Schreiber in ständigem Dienst. Die Lehranstalten Alexandriens waren besser als die Schulen Roms. In der Kriegswissenschaft, vielleicht auch in Jurisprudenz und Nationalökonomie mochte die Reichshauptstadt überlegen sein; aber in den andern Disziplinen führte unbestritten die Akademie Alexandriens. Die römischen Familien der herrschenden Schicht bevorzugten die Ärzte, die an der alexandrinischen Anatomie studiert hatten. Auch pflegte die Stadt auf Betreiben ihrer Mediziner eine humane Art der Hinrichtung, indem sie den schnell wirkenden Biß einer zu diesem Zweck gezüchteten Giftnatter verwandte.
      Die Alexandriner, bei aller Modernität, hingen an der Tradition. Sie hielten ihre Tempel und Kultstätten im Ruf besonderer Heiligkeit und Wirksamkeit, ließen die von den Vätern ererbte altägyptische Magie nicht abreißen, klammerten sich an ihre überkommenen Bräuche. Wie in Urzeiten verehrten sie ihre heiligen Tiere, Stier, Sperber, Katze. Als ein römischer Soldat versehentlich eine Katze umgebracht hatte, konnte ihn keine Macht vor der Hinrichtung retten.
      So lebten diese zwölfmalhunderttausend Menschen, rastlos aus der Arbeit in den Genuß, aus dem Genuß in die Arbeit stürzend, immer nach Neuem süchtig und andächtig starr am Überkommenen hängend, sehr launisch, aus höchster Gunst jäh in wilde Abneigung umschlagend, geldgierig, geistreich, von beweglichem, bösartigem Witz, zügellos frech, musisch, politisiert bis in die Poren ihrer Haut. Aus allen Teilen der Erde waren sie in die Stadt zusammengeströmt; bald aber hatten sie ihre Heimat vergessen und fühlten sich nur mehr als Alexandriner. Alexandrien, das war die Stadt des Morgen- und des Abendlandes, der sinnenden Philosophie, der heitern Kunst, des rechnenden Handels, der rastlosen Arbeit, des überschäumenden Genusses, der ältesten Tradition, der modernsten Lebensform. Unbändig stolz waren sie auf ihre Stadt, und es kümmerte sie nicht, daß ihr maßloser, großschnäuziger Lokalpatriotismus überall Ärgernis gab.
      Inmitten dieser Gemeinschaft lebte eine Gruppe Menschen, noch älter, noch reicher, noch gebildeter, noch hochfahrender als die andern: die Juden. Sie hatten eine bewegte Geschichte hinter sich. Seitdem vor siebenhundert Jahren tapfere jüdische Landsknechte dem König Psammetich seinen großen Sieg erfochten hatten, saßen sie im Land. Später hatten der makedonische Alexander, die Ptolemäer sie zu

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