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Der jüdische Krieg.

Der jüdische Krieg.

Titel: Der jüdische Krieg. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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Fetzen. Dann nahm sie die Sandalen, die geliebten, parfümierten Sandalen, riß daran herum, mit Nägeln, mit Zähnen, alles langsam, lautlos. Josef haßte sie, weil sie nicht klagte, weil sie nicht gegen ihn aufbegehrte. In ihm war nur ein Gedanke: Weg von ihr, fort von ihr! Ich komme nicht hinauf, solange ich eine Luft mit ihr atme.

    Den Vespasian, als er sein Schlafzimmer verließ, begrüßten die wachhabenden Soldaten mit der Ehrenbezeigung und dem Gruß, der dem Kaiser vorbehalten war. Vespasian grinste: »Verrückt geworden, Jungens?« Aber da war schon der diensttuende Offizier und andere Offiziere, und sie wiederholten den Kaiserlichen Gruß. Vespasian zeigte Zorn. Nun aber stellten sich auch einige Obersten und Generäle ein, an ihrer Spitze Mucian. Das ganze Gebäude war plötzlich voll von Soldaten, Soldaten füllten den weiten Platz davor, und immer wieder und immer lauter, während die ganze Stadt in stürmische Begeisterung geriet, wiederholten sie den Kaiserlichen Gruß. Mucian währenddes, in dringlicher und außerordentlich geschickter Rede, bestürmte den Marschall, das Vaterland nicht im Dreck verkommen zu lassen. Die andern unterstützten seine Rede mit wilden Zurufen, immer dreister drangen sie vor, ja, schließlich zückten sie die Schwerter und drohten, da sie nun doch einmal Rebellen seien, ihn zu ermorden, wenn er sich nicht an ihre Spitze stelle. Vespasian, mit seiner Lieblingswendung, sagte: »Na, na, na, nicht so heftig, Jungens. Wenn ihr durchaus darauf besteht, dann sag ich nicht nein.«
      Den elf Soldaten, die die Wache gehalten hatten, diktierte er wegen des unvorschriftsmäßigen Grußes eine Strafe von dreißig Hieben zu und eine Gratifikation von siebenhundert Sesterzien. Wenn sie wollten, konnten sie sich von den dreißig Hieben durch dreihundert Sesterzien loskaufen. Die fünf Soldaten, die die Hiebe und die Sesterzien nahmen, beförderte er zu Feldwebeln.
      Dem Josef sagte er: »Ich denke, mein Jüdlein, jetzt können Sie Ihre Kette ablegen.« Josef hob ohne großen Dank die Hand zur Stirn, das blaßbraune Gesicht unverhohlen mürrisch, voll Auflehnung. »Haben Sie sich mehr erwartet?« hänselte Vespasian. Und da Josef schwieg, fügte er barsch hinzu: »Machen Sie schon den Mund auf! Ich bin kein Prophet.« Er hatte wohl längst erraten, was Josef wollte, aber es machte ihm Spaß, den Juden selber darum bitten zu lassen. Allein der gutmütige Titus mischte sich ein: »Doktor Josef erwartet wohl, daß man ihm die Kette zerhaut.« Dies war die Art, wie man Männer befreite, die zu Unrecht gefangen waren. »Na schön«, achselzuckte Vespasian. Er ließ zu, daß die Zerschlagung der Kette in großer Zeremonie geschah.
      Josef, als freier Mann, bückte sich tief, fragte: »Darf ich fortan den Geschlechternamen des Kaisers führen?«
      »Wenn Sie sich davon etwas versprechen«, meinte Vespasian, »ich habe nichts dagegen.« Und Josef Ben Matthias, Priester der Ersten Reihe aus Jerusalem, nannte sich von da an Flavius Josephus.

    VIERTES BUCH

    Alexandrien

          in langes, schmales Rechteck, streckte sich die Hauptstadt des Ostens, das ägyptische Alexandrien, am Meer
          entlang, nach Rom die größte Stadt der bekannten Welt und sicherlich ihre modernste. Fünfundzwanzig Kilometer maß ihr Umfang. Sieben große Avenuen durchschnitten ihre Länge, zwölf ihre Breite; die Häuser waren hoch und weit, alle versehen mit fließendem Wasser.
      Im Angelpunkt dreier Weltteile, an der Kreuzung des Orients und des Okzidents, an der Straße nach Indien gelegen, hatte sich Alexandrien zum ersten Handelsplatz der Welt hochgeschwungen. Auf der ganzen neunhundert Kilometer langen Strecke der asiatischen und afrikanischen Küste zwischen Joppe und Parätonium war der Hafen dieser Stadt der einzige wettersichere. Hier stapelten sich Goldstaub, Elfenbein, Schildpatt, arabisches Gewürz, Perlen des persischen Meers, indische Edelsteine, chinesische Seide. Eine mit der modernsten Technik arbeitende Industrie lieferte berühmte Leinwand bis nach England, wirkte kostbare Teppiche und Gobelins, stellte für arabische und indische Volksstämme Nationaltrachten her. Fabrizierte edle Gläser, berühmte Parfüms. Versorgte die ganze Erde mit Papier, vom dünnsten Damenbriefpapier bis zum gröbsten Packpapier.
      Alexandrien war eine arbeitsame Stadt. Hier hatten selbst die Blinden zu tun, und die ausgemergelten Greise gingen nicht müßig. Es war fruchttragende Arbeit, und

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