Der Jünger
ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus. Sie packte ihre Habseligkeiten zusammen, kaufte für Mitzi und sich ein Flugticket nach Florida und flog nach Hause zu den Keys. Sie war auf einem Fischerboot groß geworden, wo sie ihrem Vater geholfen hatte. Obwohl der nun nicht mehr lebte, wusste sie noch immer so gut wie die anderen, wie man Köder auslegte, und schwor, dass Mitzi nun nie wieder in Clubs wie dem Lesbo würde tanzen müssen.
Als Tom Gerlich geheilt und entlassen war, ging er zurück auf die Straße und tauchte unter.
Mutter Mary Theresa hatte die Führung des Obdachlosenasyls an eine jüngere Nonne übertragen und verbrachte ihre Tage nun damit, im Kloster zu lesen und zu beten.
Für alle schien das Leben wieder normal zu verlaufen. Für alle bis auf January. Sie hatte es niemandem erzählt, aber der Sünder verfolgte sie noch immer.
Ständig begegnete sie ihm auf der Straße, er saß in vorbeifahrenden Taxis, bog um die Ecke im Gang eines Supermarktes, wenn sie einkaufte, oder verfolgte sie im Schlaf.
Sie verstand nicht, warum. Ben hatte sie vorsichtshalber noch nichts davon erzählt, aber das war nur eine Frage der Zeit. Er schien sie inzwischen besser zu kennen als sie sich selbst. Wenn sie sich ihm nicht bald anvertraute, würde er sowieso schnell herausfinden, dass etwas nicht stimmte, und so lange drängen, bis sie es ihm sagte.
Es war Sonntag. January war schon seit Stunden auf, las die Sonntagszeitung und genoss die Ruhe in ihrer Wohnung, während Ben noch immer schlief. Er war vor einem Monat bei ihr eingezogen. Er hatte ihr einen Heiratsantrag gemacht, den sie angenommen hatte. Doch wenn es darum ging, ein Datum festzusetzen, war sie diejenige, die es hinauszögerte. Sie wollte kein neues Leben mit dem Mann ihres Herzens beginnen, bevor sie nicht die alten Geister losgeworden war.
Ihr Problem war, Ben klarzumachen, dass diese überhaupt existierten.
Ben wachte unvermittelt auf und griff intuitiv nach seiner Waffe, bevor ihm klar wurde, wo er sich befand. Er ließ sich aufs Kissen zurückfallen und atmete erleichtert auf. Was immer er auch geträumt hatte, war verflogen, doch er fühlte sich trotzdem tief beunruhigt.
Er blickte auf Januarys Kopfkissen und konnte anhand der Kuhle sehen, wo sie gelegen hatte. Er runzelte die Stirn. Obwohl er keine Ahnung hatte, wie lange sie diesmal schon auf war, hätte er schwören können, dass es wieder einige Stunden waren. Irgendetwas stimmte nicht mit ihr. Aber er wusste nicht, was es war, und er wusste auch nicht, wie er sie dazu bringen könnte, darüber zu reden.
Er lag da, ohne sich zu rühren, und lauschte den Geräuschen, um herauszufinden, was sie tat. Als er schließlich Papierrascheln vernahm, war ihm klar, dass sie die Sonntagszeitung las.
Er rollte sich aus dem Bett, schnappte sich seine Jeans und ging ins Bad. Minuten später kam er heraus, frisch geduscht und rasiert, mit großem Appetit auf seine Verlobte und einen heißen Kaffee.
Sie saß mit dem Rücken zur Tür, als er hereinkam.
“Hallo, wie lange bist du denn schon auf?”, fragte er und drückte ihr einen Kuss auf den Hals.
January schmiegte sich an ihn und lächelte. Er sah immer gut aus, aber wenn er gerade aus der Dusche kam, mit noch feuchtem Haar und nur Jeans am Körper, gefiel er ihr am besten.
“Lange genug. Kaffee ist in der Küche. Komm, setz dich zu mir, dann gebe ich dir ein paar Seiten ab.”
“Klingt gut.” Ben ging sich eine Tasse holen. Kurz darauf kam er zurück.
Er ließ sich in die Polster auf der anderen Seite des Sofas sinken, auf dem sie saß, drehte sich zu ihr um und legte die Füße auf ihren Schoß.
Sie ließ die Zeitung auf den Boden fallen und begann, ihm abwesend die Füße zu massieren.
“Hast du gut geschlafen?”, erkundigte sie sich.
“Hmm”, murmelte er, während er einen großen Schluck Kaffee trank. “Und du?”
Fast wäre ihr die übliche kleine Notlüge über die Lippen gekommen, die sie in der letzten Zeit so gerne benutzte – zumindest so lange, bis sie selbst ihre Dämonen wieder im Griff hatte. Aber das schien ihr in diesem Augenblick zu einfach zu sein. Der Mann, mit dem sie den Rest ihres Lebens gemeinsam verbringen wollte, sollte die Wahrheit kennen.
“Nein”, antwortete sie.
“Erzähl mir davon.”
Einen Moment saß sie mit gesenktem Kopf da, immer noch über den Spann seines Fußes reibend. Gerade als er glaubte, er müsse sie noch einmal auffordern, begann sie zu reden.
“Irgendwas stimmt nicht mit
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