Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
Vom Netzwerk:
dazu schon alle Maßnahmen. Meine Mutter tat mir leid, aber ... »entweder er oder ich« – diese Alternative wollte ich ihr und meiner Schwester stellen. Sogar den Tag hatte ich schon festgesetzt; vorläufig aber ging ich in meinen Dienst.

Zweites Kapitel
     
I
     
    An diesem 19. September sollte ich auch mein erstes Gehalt für den ersten Monat meiner Petersburger Tätigkeit in meiner »privaten« Stellung erhalten. Wegen dieser Tätigkeit hatte man mich nicht vorher gefragt, sondern mich einfach hingetan, ich glaube, gleich am ersten Tag nach meiner Ankunft. Das war sehr rücksichtslos, und es wäre fast meine Pflicht gewesen, gegen eine solche Behandlung zu protestieren. Diese Stelle war im Hause des alten Fürsten Sokolskij. Aber gleich damals zu protestieren, das hätte den sofortigen Bruch mit ihnen bedeutet, und obgleich mich das durchaus nicht schreckte, so wäre es doch der Erreichung meiner eigentlichen Ziele hinderlich gewesen, und daher hatte ich die Stelle einstweilen stillschweigend angenommen, wobei ich durch dieses Stillschweigen meine Würde wahrte. Erklärend will ich hier gleich zu Anfang bemerken, daß dieser Fürst Sokolskij, ein reicher Mann und Geheimrat, in keiner Weise mit jenen Moskauer Fürsten Sokolskij verwandt war (einer schon seit Generationen gänzlich verarmten Familie), mit denen Wersilow prozessierte. Sie führten nur den gleichen Namen. Nichtsdestoweniger interessierte sich der alte Fürst sehr für sie und mochte besonders einen von diesen Fürsten, sozusagen das Oberhaupt der Familie, einen jungen Offizier, gut leiden. Wersilow hatte noch vor kurzem auf die geschäftlichen Angelegenheiten dieses alten Mannes einen großen Einfluß ausgeübt und war sein Freund gewesen, ein sonderbarer Freund, da der bedauernswerte Fürst, wie ich wahrnahm, eine gewaltige Angst vor ihm hatte, nicht nur zu der Zeit, als ich eintrat, sondern, wie es schien, immer, während der ganzen Dauer der Freundschaft. Übrigens hatten sie einander schon lange Zeit nicht mehr gesehen; die ehrlose Handlung, deren Wersilow beschuldigt wurde, betraf gerade die Familie des Fürsten; aber da war plötzlich Tatjana Pawlowna als Helferin erschienen, und durch ihre Vermittlung war ich bei dem alten Fürsten untergebracht worden, der einen »jungen Mann« als Hilfe in seinem Arbeitszimmer wünschte. Dabei hattesich herausgestellt, daß er den lebhaften Wunsch hatte, Wersilow einen Gefallen zu erweisen, sozusagen den ersten Schritt zur Versöhnung zu tun; und Wersilow hatte es erlaubt . Der alte Fürst hatte diese Anordnung in Abwesenheit seiner Tochter, einer verwitweten Generälin, getroffen, die ihm diesen Schritt gewiß nicht erlaubt hätte. Aber hiervon später, jetzt bemerke ich nur, daß dieses merkwürdige Benehmen gegenüber Wersilow mir einen starken und für Wersilow günstigen Eindruck machte. Mein Gedanke war dieser: wenn das Oberhaupt der beleidigten Familie immer noch vor Wersilow Achtung hegt, dann muß doch das Gerede über eine von Wersilow begangene Gemeinheit absurd oder wenigstens zweifelhaft und unsicher sein. Eben dieser Umstand hatte mich auch mit dazu veranlaßt, gegen die Übernahme dieser Stellung nicht zu protestieren; indem ich sie antrat, hoffte ich nämlich, dies alles zu überprüfen.
    Jene Tatjana Pawlowna spielte damals, als ich sie in Petersburg traf, eine eigentümliche Rolle. Ich hatte sie fast ganz vergessen und in keiner Weise erwartet, daß sie eine so bedeutsame Stellung innehätte. Sie war früher drei- oder viermal während meines Aufenthaltes in Moskau mit mir in Berührung gekommen und war Gott weiß woher in irgend jemandes Auftrag jedesmal erschienen, wenn ich irgendwo untergebracht werden mußte – bei meinem Eintritt in das schlechte Pensionat des Herrn Touchard, und dann zwei und ein halbes Jahr darauf bei meinem Übergang auf das Gymnasium und meiner Unterbringung bei dem unvergeßlichen Nikolai Semjonowitsch. Nach ihrer Ankunft beschäftigte sie sich jedesmal den ganzen Tag mit mir, revidierte meine Wäsche und meine Kleider, fuhr mit mir nach dem Kusnezkij Most und in die Stadt, kaufte mir alles Notwendige und brachte, kurz gesagt, meine gesamte Ausrüstung bis auf das letzte Schreibkästchen und Federmesserchen in Ordnung; dabei ranzte sie mich die ganze Zeit über an, schalt mich, machte mir Vorwürfe, examinierte mich und stellte mir andere Knaben aus ihrer Bekanntschaft und Verwandtschaft (für mich reine Phantasiegebilde), die alle angeblich viel besser waren

Weitere Kostenlose Bücher