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Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
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hatte überdies von Jugend auf eine Sonderbarkeit an sich, ich weiß nur nicht, ob ich sie lächerlichfinden soll oder nicht: arme Mädchen zu verheiraten. Er gab sich schon seit fünfundzwanzig Jahren damit ab, solche Mädchen zu verheiraten, teils entfernte Verwandte, teils Stieftöchter irgendwelcher Vettern seiner Frau, teils Patenkinder; sogar die Tochter seines Portiers hatte er verheiratet. Er nahm sie zuerst, wenn sie noch ganz klein waren, zu sich ins Haus, zog sie auf, hielt ihnen Gouvernanten und Französinnen, ließ sie dann die besten Lehranstalten besuchen und verheiratete sie schließlich, wobei er ihnen eine Mitgift gab. Dieser ganze Schwarm umdrängte ihn fortwährend. Die Pflegetöchter bekamen natürlich, nachdem sie verheiratet waren, wieder Töchter, und auch alle diese strebten danach, ebenfalls Pflegetöchter zu werden; überall mußte er Pate stehen; zu seinem Namenstag erschien diese ganze Gesellschaft, um zu gratulieren, und das alles machte ihm das größte Vergnügen.
    Als ich meine Stelle bei ihm antrat, merkte ich sofort – und es war unmöglich, es nicht zu merken –, daß sich in dem Kopf des alten Mannes eine peinliche Vorstellung festgesetzt hatte: er glaubte, daß alle Menschen in der besseren Gesellschaft ihn sonderbar ansähen und sich gegen ihn anders benähmen als früher, wo er noch gesund gewesen war; diese Vorstellung verließ ihn selbst in der heitersten Gesellschaft nicht. Der alte Mann wurde argwöhnisch und glaubte in aller Augen eine gewisse Meinung zu lesen. Der Gedanke, daß man ihn immer noch für geisteskrank halte, quälte ihn offenbar sehr; selbst mich sah er manchmal mißtrauisch an. Und wenn er erfahren hätte, daß jemand dieses Gerücht über ihn weiterverbreitete oder für begründet erklärte, so wäre, glaube ich, dieser so gutmütige Mensch der lebenslängliche Feind des Betreffenden geworden. Gerade diesen Umstand bitte ich zu beachten. Ich füge hinzu, daß mich dies gleich vom ersten Tag an davon abhielt, ihm gegenüber grob zu werden; ich freute mich sogar, wenn es mir manchmal gelang, ihn zu erheitern oder zu zerstreuen. Ich glaube nicht, daß dieses Bekenntnis einen Schatten auf meine Ehre werfen kann.
    Der größte Teil seines Geldes steckte in Unternehmungen. Er war, und zwar erst nach seiner Krankheit, Teilhaber bei einer großen, übrigens höchst soliden Aktiengesellschaftgeworden. Und obgleich die eigentliche Geschäftsführung in anderen Händen lag, so interessierte doch auch er sich sehr dafür, besuchte die Versammlungen der Aktionäre, wurde in den Ausschuß gewählt, nahm an den Beratungen teil, hielt lange Reden, opponierte, machte Lärm, und das alles augenscheinlich mit vielem Vergnügen. Reden zu halten, daran fand er großen Gefallen: wenigstens konnten dabei alle sehen, daß sein Verstand in Ordnung war. Und überhaupt liebte er es selbst im intimsten Privatleben sehr, in sein Gespräch besonders tiefsinnige Gedanken oder Bonmots einzustreuen; ich habe dafür volles Verständnis. Unten in seinem Hause war eine Art Hauskontor eingerichtet, und ein Beamter erledigte dort alle Geschäfte, prüfte die Rechnungen, führte die Wirtschaftsbücher und verwaltete gleichzeitig das Haus. Dieser Beamte, der außerdem noch ein Amt im Staatsdienst bekleidete, hätte auch allein völlig ausgereicht; aber auf persönlichen Wunsch des Fürsten wurde ich noch dazuengagiert, angeblich zur Unterstützung des Beamten; indes wurde ich sogleich in das Arbeitszimmer des Fürsten versetzt und hatte oft nicht einmal zum Schein eine Arbeit vor mir liegen, weder Papier noch Bücher.
    Ich schreibe jetzt wie jemand, der längst ernüchtert ist, und in vieler Hinsicht fast wie ein Unbeteiligter; aber wie soll ich den damaligen Kummer zur Darstellung bringen, der sich in meinem Herzen festgesetzt hatte und mir soeben wieder lebhaft ins Gedächtnis gekommen ist, und vor allen Dingen meine damalige Aufregung, die sich zu einem so trüben, fieberhaften Zustand gesteigert hatte, daß ich sogar nachts nicht schlief vor ungeduldiger Erwartung, wie sich die Rätsel lösen würden, die ich mir selbst aufgegeben hatte.

II
     
    Um Geld zu bitten, ist eine höchst widerwärtige Geschichte, und das gilt sogar für ein Gehalt, wenn man in den innersten Falten des Gewissens fühlt, daß man es nicht ganz verdient hat. Indessen hatte tags zuvor meine Mutter in einem Gespräch, das sie im Flüsterton, ohne Wissen Wersilows (»um Andrej Petrowitsch nicht zu erzürnen«),mit

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