Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
Vom Netzwerk:
tätliche Beleidigung.«
    »So hast du dich ausgedrückt?«
    »Jawohl. Erstens wird dadurch die gesellschaftliche Ordnung gröblich verletzt, und zweitens macht es Staub; der Boulevard aber ist für alle da: ich gehe da, ein zweiter geht da, ein dritter, ein Fjodor, ein Iwan, ganz egal, wer es ist. Das war's, was ich sagte. Und überhaupt kann ich den Gang der Frauen, von hinten gesehen, nicht leiden; das habe ich ebenfalls gesagt, aber nur andeutungsweise.«
    »Aber, mein Freund, da kannst du dir ernstliche Unannehmlichkeiten zuziehen; sie konnten dich vor den Friedensrichter schleppen.«
    »Gar nichts konnten sie. Sie hatten nichts, worüber sie sich hätten beschweren können: da geht ein Mensch neben ihnen und spricht mit sich selbst. Jeder Mensch hat das Recht, seine Ansicht in die freie Luft hinzusprechen. Ich habe nur ganz allgemein geredet; an die beiden Damen habe ich mich nicht gewandt. Sie selbst waren es, die mit mir anbanden: sie fingen an zu schimpfen und schimpften in weit häßlicherer Weise als ich: ich sei ein Grünschnabel, man müsse mir zur Strafe nichts zu essen geben, ein Nihilist sei ich, und sie würden mich einem Schutzmann übergeben, und ich hätte nur deshalb mit ihnen angebunden, weil sie allein gingen und schwache Frauen seien, aber wenn sie einen Mann bei sich hätten, dann würde ich sogleich Reißaus nehmen. Ich antwortete ihnen kaltblütig, sie möchten mich nicht weiter belästigen, ich würde auf die andere Seite der Straße hinübergehen. Um ihnen aber zu zeigen, daß ich vor ihren Männern keine Furcht hätte und eine Forderung anzunehmen bereitsei, würde ich ihnen in einer Entfernung von zwanzig Schritten bis zu ihrem Hause folgen, mich dann vor das Haus hinstellen und auf ihre Männer warten. Das tat ich denn auch.«
    »Wirklich?«
    »Natürlich war es eine Dummheit, aber ich war eben in gereizter Stimmung. Sie schleppten mich mehr als drei Werst weit in der Hitze bis dahin, wo die Institute sind, und gingen in ein einstöckiges Holzhaus hinein. Ich muß gestehen, das Haus sah sehr anständig aus: durch das Fenster sah man drinnen eine Menge Blumen, zwei Kanarienvögel, drei Stubenhündchen und einige eingerahmte Kupferstiche. Ich stand ungefähr eine halbe Stunde mitten auf der Straße vor dem Hause. Sie sahen dreimal verstohlen aus dem Fenster, aber dann ließen sie alle Rouleaus herab. Endlich trat aus dem Torpförtchen ein ältlicher Beamter heraus; nach seinem Aussehen zu urteilen, hatte er geschlafen und war von den Damen eigens geweckt worden; er trug nicht gerade einen Schlafrock, aber ein Kostüm, das durchaus nur fürs Haus paßte. Er blieb bei dem Pförtchen stehen, legte die Hände auf den Rücken und begann mich anzusehen, und ebenso ich ihn. Manchmal wandte er die Augen von mir ab, dann blickte er wieder nach mir hin, und auf einmal lächelte er mir zu. Da drehte ich mich um und ging weg.«
    »Aber das ist ja Schillerscher Idealismus, mein Freund! Ich habe mich immer gewundert: du hast so schöne rote Backen, dein Gesicht strotzt nur so von Gesundheit, und dabei ein solcher, man kann sagen, Widerwille gegen die Frauen! Wie ist es möglich, daß eine Frau auf einen jungen Mann in deinem Alter nicht einen gewissen Eindruck macht? Mich, mon cher, hat mein Erzieher schon, als ich elf Jahre alt war, getadelt, daß ich im Sommergarten zu viel nach den Statuen hinsähe.«
    »Sie möchten schrecklich gern, daß ich zu irgendeiner hiesigen Josephine hinginge und dann zu Ihnen käme, um Ihnen Bericht zu erstatten. Aber Ihr Wunsch ist gegenstandslos: auch ich habe schon als Dreizehnjähriger ein nacktes, ganz nacktes Weib gesehen; seitdem habe ich einen Ekel vor ihnen.«
    »Im Ernst? Aber, cher enfant, ein schönes, frisches Weib duftet wie ein Apfel; wie kann man da Ekel empfinden?«
    »Ich hatte in meiner ersten schlechten Pension bei Herrn Touchard, noch ehe ich aufs Gymnasium kam, einen Kameraden namens Lambert. Er prügelte mich immer, weil er mehr als drei Jahre älter war als ich, und ich mußte ihn bedienen und ihm die Stiefel ausziehen. Als er konfirmiert war, kam der Abbé Rigaud zu ihm, um ihm zur ersten Kommunion Glück zu wünschen, und die beiden fielen einander unter Tränen um den Hals, und der Abbé Rigaud drückte ihn mit allerlei pathetischen Gesten an seine Brust. Ich weinte ebenfalls und beneidete ihn sehr. Als sein Vater gestorben war, verließ er die Pension, und ich sah ihn zwei Jahre lang nicht wieder, aber nach den zwei Jahren traf ich ihn einmal

Weitere Kostenlose Bücher