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Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
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wunderbarerweise im Ausdruck des Gesichts eine außerordentliche Ähnlichkeitmit ihm. Ich weiß nicht, ob sie schön war; das kommt auf den Geschmack an. Beide Damen waren sehr einfach gekleidet, so daß es nicht der Mühe wert ist, das zu beschreiben. Ich erwartete, daß Fräulein Wersilow mich sogleich durch einen Blick oder eine Geste beleidigen würde, und bereitete mich schon darauf vor; hatte mich doch ihr Bruder in Moskau gleich bei unserem ersten Zusammentreffen im Leben beleidigt. Von Gesicht konnte sie mich nicht kennen, aber sie hatte jedenfalls gehört, daß ich regelmäßig zum Fürsten kam. Alles, was der Fürst vorhatte und tat, erregte sogleich bei dem Schwarm von Verwandten und »Anwärtern« das lebhafteste Interesse und wurde als wichtiges Ereignis betrachtet – um wieviel mehr seine plötzliche Zuneigung zu mir. Es war mir zuverlässig bekannt, daß der Fürst sich sehr für Anna Andrejewnas Schicksal interessierte und einen Bräutigam für sie suchte. Aber für Fräulein Wersilowa einen Bräutigam zu finden, war schwerer als für die Kanevasstickerinnen.
    Aber siehe da, die Sache kam ganz anders, als ich erwartet hatte. Nachdem Fräulein Wersilowa dem Fürsten die Hand gedrückt und mit ihm ein paar heitere Worte im Stil der vornehmen Gesellschaft gewechselt hatte, sah sie sehr neugierig nach mir hin, und da sie bemerkte, daß auch ich sie ansah, machte sie mir lächelnd eine Verbeugung. An sich war daran nichts Ungewöhnliches: sie war soeben eingetreten und machte mir eine Verbeugung, aber ihr Lächeln war so freundlich, daß es augenscheinlich schon vorher beabsichtigt sein mußte. Ich hatte dabei, wie ich mich erinnere, eine höchst angenehme Empfindung.
    »Und dies... und dies ist mein lieber junger Freund Arkadij Andrejewitsch Dol...«, stammelte der Fürst, da er sah, daß sie mir eine Verbeugung gemacht hatte und ich immer noch dasaß – und plötzlich verstummte er: vielleicht wurde er darüber verlegen, daß er mich ihr vorstellte (also, genaugenommen, den Bruder der Schwester). Die Schlummerrolle machte mir ebenfalls eine Verbeugung, aber ich brauste auf einmal in sehr dummer Weise auf und sprang von meinem Platz in die Höhe: es war ein Anfall gekünstelten ganz sinnlosen Stolzes, alles nur aus falschem Selbstgefühl.
    »Entschuldigen Sie, Fürst, ich heiße nicht Arkadij Andrejewitsch, sondern Arkadij Makarowitsch«,- bemerkte ich in scharfem Ton und vergaß dabei ganz, daß ich die Verbeugung der Damen erwidern mußte. Weiß der Teufel, wie unpassend ich mich in diesen Minuten benahm!
    »Mais. .. tiens!« rief der Fürst und stieß sich mit dem Finger gegen die Stirn.
    »Wo haben Sie studiert?« hörte ich vor mir die ziemlich dumme, gedehnte Frage der Schlummerrolle, die geradeswegs an mich herangetreten war.
    »In Moskau, auf dem Gymnasium.«
    »Ah! Ich habe davon gehört. Wird dort guter Unterricht erteilt?«
    »Jawohl, sehr guter.«
    Ich stand da und antwortete wie ein Soldat beim Rapport.
    Die Fragen dieses jungen Mädchens waren ohne Zweifel nicht sehr tiefsinnig, aber sie hatte doch ein Mittel gefunden, meine dumme Heftigkeit zu vertuschen und die Verlegenheit des Fürsten zu mildern, der unterdessen schon mit fröhlichem Lächeln anhörte, was ihm Fräulein Wersilowa vergnügt ins Ohr flüsterte; auf mich hatte es offenbar keinen Bezug. Aber ich fragte mich: warum sucht denn dieses mir gänzlich unbekannte junge Mädchen meine dumme Heftigkeit und alles übrige zu vertuschen? Unmöglich konnte ich denken, daß sie sich so ganz ohne Grund an mich gewandt hatte: da steckte eine Absicht dahinter. Sie blickte mich sehr neugierig an, als wünsche sie, daß ich sie ebenfalls recht sehr beachten möchte. Alles dies habe ich mir nachher so zurechtgelegt, und ich habe mich nicht geirrt.
    »Wie? Wirklich heute schon?« rief der Fürst auf einmal und sprang von seinem Platz auf.
    »Also haben Sie es nicht gewußt?« fragte Fräulein Wersilowa erstaunt. »Olympe! Der Fürst hat nicht gewußt, daß Katerina Nikolajewna heute ankommt. Wir wollten ja doch jetzt eben zu ihr kommen, weil wir glaubten, sie wäre schon mit dem Frühzug gefahren und längst zu Hause. Aber wir sind mit ihr eben an der Haustür zusammengetroffen; sie kam direkt von der Bahn und sagte uns, wir möchten nur zu Ihnen gehen; sie selbst werde auch gleich kommen... Da ist sie ja schon!«
    Eine Seitentür öffnete sich, und – jene Frau erschien !
    Ich kannte ihr Gesicht schon von dem wundervollen Porträt, das im

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