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Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
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Arbeitszimmer des Fürsten hing; ich hatte dieses Porträt den ganzen Monat über studiert. In ihrer Gegenwart verbrachte ich jetzt in dem Arbeitszimmer etwa drei Minuten und wandte meine Augen auch nicht eine Sekunde von ihrem Gesicht. Aber wenn ich das Porträt nicht gekannt hätte und nach Ablauf dieser drei Minuten gefragt worden wäre, wie sie aussähe, so hätte ich nichts antworten können, so benommen war ich.
    Ich erinnere mich aus diesen drei Minuten nur an eine tatsächlich sehr schöne Frau, die der Fürst küßte und bekreuzigte und die auf einmal, unmittelbar nach ihrem Eintritt, anfing, mich anzublicken. Ich hörte deutlich, wie der Fürst mit einem kleinen, leisen Lachen etwas von dem neuen Sekretär murmelte, wobei er offenbar auf mich zeigte, und wie er meinen Familiennamen nannte. Sie warf das Gesicht in eigentümlicher Weise zurück, musterte mich auf abscheuliche Art und lächelte so frech, daß ich mich auf einmal in Bewegung setzte, zum Fürsten hintrat und heftig zitternd, kein Wort zu Ende aussprechend und wahrscheinlich mit den Zähnen klappernd, murmelte: »Ich muß jetzt... ich habe jetzt für mich zu tun... Ich gehe.«
    Damit drehte ich mich um und ging hinaus. Niemand sagte ein Wort, auch der Fürst nicht; alle sahen mich nur an. Der Fürst hat mir später gesagt, ich sei so blaß geworden, daß er es »geradezu mit der Angst bekommen habe«.
    Das hatte nun allerdings nichts zu sagen!

Drittes Kapitel
     
I
     
    Das hatte wirklich nichts zu sagen; die höchste Vorstellung verschlang alles Geringere, und das eine mächtige Gefühl entschädigte mich für alles andere. Ich ging in einer Art Wonnerausch hinaus. Als ich auf die Straße trat, hätte ich am liebsten losgesungen. Und es traf sich auch noch, daß esein entzückender Morgen war: Sonnenschein, Passanten, Lärm, Bewegung, Freude, Gedränge. – Wie? Hatte mich denn diese Frau nicht beleidigt? Von wem hätte ich einen solchen Blick und ein so freches Lächeln ertragen, ohne sofortigen Protest meinerseits, mochte er auch noch so dumm herauskommen (das wäre dabei egal)? Man beachte noch: sie war schon mit der Absicht angereist gekommen, mich so schnell wie möglich zu beleidigen, obwohl sie mich noch nie gesehen hatte: in ihren Augen war ich »ein Abgesandter Wersilows«, und sie war damals, ebenso wie noch lange nachher, davon überzeugt, daß Wersilow ihr Schicksal in seinen Händen habe und imstande sei, sie, wenn er wolle, mittels eines Schriftstücks zugrunde zu richten; wenigstens vermutete sie das. Hier fand ein Duell auf Leben und Tod statt. Und siehe da – ich war nicht beleidigt! Eine Beleidigung war erfolgt, aber ich empfand sie nicht! Ja noch mehr! Ich war sogar froh; ich war hergekommen, um sie zu hassen, und nun fühlte ich sogar, daß ich anfing, sie zu lieben. ›Ich weiß nicht‹, dachte ich, ›ob eine Spinne Haß gegen die Fliege empfinden kann, die sie zu fangen beabsichtigt! Liebe kleine Fliege! Ich glaube, man liebt sein Opfer; wenigstens kann man es lieben. Ich, ich liebe meine Feindin da: es gefällt mir zum Beispiel sehr, daß sie so schön ist. Es gefällt mir sehr, gnädige Frau, daß Sie so hochmütig und stolz sind: wären Sie bescheidener, so würde mein Vergnügen nicht so groß sein. Sie haben mich, bildlich ausgedrückt, angespien, aber ich triumphiere. Wenn Sie mir tatsächlich mit wirklichem Speichel ins Gesicht gespien hätten, auch dann wäre ich vielleicht nicht zornig geworden; denn Sie sind mein Opfer, meines , nicht das seine . Wie bezaubernd dieser Gedanke ist! Nein, das geheime Bewußtsein der Macht ist unvergleichlich angenehmer als die offenkundige Herrschaft. Wäre ich ein hundertfacher Millionär; so würde ich, wie ich glaube, ein besonderes Vergnügen darin finden, in einem ganz abgetragenen Rock zu gehen, damit man mich für einen armen Menschen, fast für einen Bettler hält, mich beiseite stößt und verachtet: mir würde das bloße Bewußtsein genügen.‹
    So ungefähr könnte ich meine damaligen Gedanken und meine Freude und vieles von meinen Empfindungen inWorte kleiden. Ich füge nur noch hinzu, daß es hier, in dem soeben Niedergeschriebenen, leichtfertiger klingt: in Wirklichkeit war ich tiefer und schamhafter. Vielleicht bin ich auch jetzt in meinem Innern schamhafter als in meinen Worten und Taten; Gott gebe es!
    Vielleicht habe ich sehr übel daran getan, daß ich mich hingesetzt habe, um das alles aufzuschreiben: in meinem Innern bleibt unvergleichlich viel mehr zurück

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