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Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
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gesehen?«
    »Selbst habe ich sie nicht gesehen, aber ...«
    »Dann erkläre ich Ihnen, daß das alles Lüge ist, ein Geflecht abscheulicher Ränke, schändliche Verleumdung seitens seiner Feinde, das heißt seitens eines Feindes, seines unmenschlichen Hauptfeindes, denn eigentlich hat er nur einen Feind: das ist Ihre Tochter!«
    Nun war es der Fürst, der zornig aufbrauste.
    »Mon cher, ich bitte dich inständig, von nun an nie wieder in meiner Gegenwart den Namen meiner Tochter in Verbindung mit dieser häßlichen Geschichte zu erwähnen.«
    Ich erhob mich. Er war ganz außer sich; sein Kinn zitterte.
    »Cette histoire infame!.. Ich habe sie nicht geglaubt, ich wollte sie absolut nicht glauben, aber... man sagte mir: ›Sie können es glauben, Sie können es glauben‹, und ich...«
    In diesem Augenblick kam ein Diener herein und meldete Besuch; ich ließ mich wieder auf meinen Stuhl nieder.

IV
     
    Es traten zwei Damen ein, beides junge Mädchen; die eine war die Stieftochter eines Vetters von der verstorbenen Frau des Fürsten oder so etwas Ähnliches, eine Pflegetochter von ihm, der er bereits eine Mitgift zugeteilt hatte und die (ich bemerke das für später) auch selbst Vermögen besaß; die andere war Anna Andrejewna Wersilowa, die Tochter Wersilows, die drei Jahre älter war als ich, bei Frau Fanariotowa wohnte und die ich bisher nur einmal in meinem Leben flüchtig auf der Straße gesehen hatte, obgleich ich mit ihrem Bruder schon in Moskau eine allerdings ebenfalls nur unbedeutende Affäre gehabt hatte (es ist sehr möglich, daß ich diese Affäre in der Folge erwähnen werde, wenn ich dafür Platz haben sollte, denn eigentlich ist sie es nicht wert). Diese Anna Andrejewna war von ihrer Kindheit an ein besonderer Liebling des Fürsten gewesen (die Bekanntschaft Wersilows mit dem Fürsten stammte aus weit zurückliegender Zeit). Ich war durch das soeben Geschehene dermaßen verwirrt, daß ich beim Eintritt der Damen nicht einmal aufstand, obgleich der Fürst sich zu ihrer Begrüßung erhoben hatte; dann aber dachte ich, es sei beschämend, so nachträglich aufzustehen, und blieb auf meinem Platz sitzen. Hauptsächlich war ich darüber bestürzt, daß der Fürst mich drei Minuten vorher so angeschrien hatte, und ich wußte immer noch nicht: sollte ich weggehen oder dableiben. Aber der alte Herr hatte nach seiner Gewohnheit schon allesvollständig vergessen und war beim Anblick der jungen Damen ganz munter und vergnügt geworden. Er hatte mir sogar mit schnell veränderter Miene und geheimnisvollem Blinzeln unmittelbar vor ihrem Eintritt noch eilig zugeflüstert:
    »Sieh dir mal Olimpiada an, sieh sie dir ganz genau an, recht genau... ich werde dir nachher den Grund sagen...«
    Ich sah sie recht genau an, konnte aber nichts Besonderes an ihr finden: sie war von nicht gerade großer Statur, hatte rundliche Formen und sehr rote Backen. Das Gesicht machte übrigens einen angenehmen Eindruck; es war eines von den Gesichtern, die den Materialisten gefallen. Vielleicht lag ein Ausdruck von Gutmütigkeit darin, wenn auch nicht von unbedingter. Durch besondere Intelligenz zeichnete sie sich nicht aus; ich meine aber dabei nur Intelligenz im höchsten Sinne, denn daß sie schlau war, konnte man ihr an den Augen ansehen. Sie konnte nicht über neunzehn Jahre alt sein. Kurz, nichts Bemerkenswertes. Bei uns auf dem Gymnasium hätte man gesagt: »Eine Schlummerrolle.« (Wenn ich alles so ausführlich beschreibe, so tue ich es einzig und allein, weil es für das Folgende vonnöten ist.)
    Übrigens zielt auch alles, was ich bisher mit scheinbar unnötiger Ausführlichkeit beschrieben habe, auf das Folgende hin und wird dort erforderlich sein. An seinem Platz wird auf alles Bezug genommen werden; ich sah keine Möglichkeit, es hier zu übergehen; wenn es aber langweilig ist, bitte ich, es nicht zu lesen.
    Eine ganz andere Erscheinung war Wersilows Tochter. Sie war hochgewachsen, sogar ein wenig hager, das Gesicht länglich und auffallend blaß, das Haar schwarz und üppig, die Augen dunkel und groß, der Blick tief, die Lippen des frischen Mundes klein und dunkelrot. Sie war das erste weibliche Wesen, das mir durch seinen Gang keinen Widerwillen einflößte, aber sie war eben auch schlank und hager. Der Ausdruck ihres Gesichts war nicht eigentlich gutmütig, aber würdevoll; sie war zweiundzwanzig Jahre alt. Fast in keinem Teil ihres Gesichts war eine äußere Ähnlichkeit mit Wersilow zu finden; dagegen hatte sie

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