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Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
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und auf einmal bemerkt man, daß man selbst derjenige ist, der diesen lustigen Streich begehen will, und weiß Gott, warum man es will, das heißt, man will es gewissermaßen ungern, man will es, obwohl man sich dagegen mit aller Kraft sträubt. Ich habe einmal einen Arzt gekannt, der bei dem Begräbnis seines Vaters in der Kirche auf einmal anfing zu pfeifen. Wahrhaftig, ich habe mich heute gefürchtet, zu dem Begräbnis zu kommen, weil sich, ich weiß nicht warum, in meinem Kopf die feste Vorstellung gebildet hatte, ich würde auf einmal lospfeifen oder loslachen wie dieser unglückliche Arzt, der ein recht schlimmes Ende genommen hat ... Und wirklich, ich weiß nicht, warum ich heute immer an diesen Arzt denken muß, und zwar dermaßen, daß ich von dem Gedanken gar nicht loskommen kann. Siehst du, Sonja, da habe ich nun das Heiligenbild wieder in die Hand genommen« (er hatte es vom Tisch genommen und drehte es in den Händen hin und her), »und weißt du, ich habe die größte Lust, es jetzt, indieser Sekunde, an den Ofen zu schmettern, gleich an diese Ecke da. Ich glaube bestimmt, daß es sich gleich in zwei Stücke zerspaltet, nicht mehr und nicht weniger.«
    Das schlimmste dabei war, daß er das alles ohne jeden Schein von Verstellung und sogar ohne jeden herausfordernden Ton vorbrachte; er sagte es ganz einfach und schlicht, aber um so schrecklicher wirkte es; und er schien sich tatsächlich gewaltig vor etwas zu fürchten, denn ich bemerkte plötzlich, daß seine Hände leise zitterten.
    »Andrej Petrowitsch!« rief Mama und schlug die Hände zusammen.
    »Laß das Bild, laß das Bild, Andrej Petrowitsch, laß es, leg es hin!« rief Tatjana Pawlowna aufspringend. »Zieh dich aus und leg dich ins Bett! Arkadij, hol den Arzt!«
    »Aber ... aber, warum regt ihr euch so auf?« sagte er ruhig und ließ seinen starren Blick von einem zum andern gehen. Dann setzte er plötzlich beide Ellbogen auf den Tisch und stützte den Kopf in die Hände. »Ich habe euch erschreckt, aber wißt ihr was, meine Freunde; macht mir eine kleine Freude, setzt euch wieder hin und beruhigt euch alle wieder – wenn auch nur auf eine Minute! Sonja, ich bin keineswegs hergekommen, um davon zu reden; ich bin hergekommen, um dir etwas mitzuteilen, aber etwas ganz anderes. Leb wohl, Sonja, ich begebe mich wieder auf die Wanderschaft, wie ich schon mehrmals von dir weggegangen bin ... Nun, natürlich werde ich einmal wieder zu dir kommen – in diesem Sinne bist du für mich unentrinnbar. Zu wem könnte ich denn auch kommen, wenn alles aus ist? Glaub mir, Sonja, daß ich jetzt zu dir als meinem guten Engel gekommen bin und durchaus nicht als zu einem Feind: wie könntest du denn auch mein Feind sein, wie könntest du mein Feind sein? Denk nicht, daß ich hergekommen bin, um dieses Heiligenbild zu zerschlagen, denn weißt du was, Sonja, ich habe doch große Lust, es zu zerschlagen ...«
    Als Tatjana Pawlowna kurz zuvor gerufen hatte: »Laß das Bild!«, da hatte sie ihm die Ikone aus den Händen genommen und hielt sie nun in ihrer Hand. Auf einmal sprang er bei dem letzten Wort hastig auf, riß Tatjana Pawlowna das Bild blitzschnell aus der Hand, holte wütendaus und schmetterte es aus aller Kraft gegen die Ecke des Kachelofens. Das Heiligenbild zersprang genau in zwei Teile ... Er wandte sich plötzlich nach uns um, und sein blasses Gesicht war auf einmal rot geworden, beinahe purpurrot, und jeder Muskel in seinem Gesicht zitterte und zuckte.
    »Faß es nicht als sinnbildliche Handlung auf, Sonja! Ich habe es nicht zerschlagen, weil es ein Stück aus Makars Erbschaft war, sondern nur einfach so, um es zu zerschlagen ... Aber ich werde doch zu dir zurückkehren, zu meinem letzten guten Engel! Übrigens, meinetwegen kannst du es auch als sinnbildliche Handlung auffassen, denn das ist es ja doch unbedingt! ...«
    Nach diesen Worten verließ er eilends das Zimmer, wieder durch die Küche (wo er seinen Pelz und seine Mütze gelassen hatte). Ich will nicht im einzelnen schildern, was mit Mama vorging: zu Tode erschrocken stand sie da, hob die Arme in die Höhe, faltete die Hände und rief ihm nach:
    »Andrej Petrowitsch, komm doch wenigstens noch einmal zurück, um Abschied zu nehmen, Lieber!«
    »Er wird schon zurückkommen, Sofja, er wird schon zurückkommen! Sei unbesorgt!« schrie Tatjana Pawlowna; sie zitterte am ganzen Leib in einem furchtbaren Anfall von geradezu tierischer Wut. »Du hast ja gehört, er hat selbst versprochen

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